Friedrich Nietzsche

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Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe

Persönliche Auswahl. Mehr Nietzsche-Auswahl ist hier.

"Der Brief ist ein unangemeldeter Besuch, der Briefbote der Vermittler unhöflicher Überfälle. Man sollte alle acht Tage eine Stunde zum Briefempfangen haben und danach ein Bad nehmen."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, zweiter Teil, zweite Abteilung: Der Wanderer und sein Schatten, 261 Brief

dazu:

Der Brief ist ein unangemeldeter Besuch, ein unhöflicher Überfall - schrieb Nietzsche. Man merkt, dass er die Schrecken des Telefons noch nicht kannte.

Ulrich Erckenbrecht, deutscher Schriftsteller (alias Hans Ritz), Philosoph und Aphoristiker (1947)

 

"Müßiggang ist aller Psychologie Anfang. Wie? wäre Psychologie ein – Laster?"

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 1

Müßiggang ist aller Laster Anfang.

Volksmund

 

"Aus der Kriegsschule des Lebens. – Was mich nicht umbringt, macht mich stärker."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 8 und: 1889, in: Werke III, S. 389 bzw. 943

Was mich nicht umbringt, macht mich härter.

Volksmund

 

"»Böse Menschen haben keine Lieder.« – Wie kommt es, daß die Russen Lieder haben?"

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, 1844-1900, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 22 (1889) bzw. Werke III, S. 392 bzw. 946

Böse Menschen haben keine Lieder. Da wo man singt, da lass dich ruhig nieder.

Volksmund

 

„Und da stehe ich schon, Als Europäer, Ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 1883-1885, S. 381

Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.

Martin Luther (1483-1546), theologischer Urheber der Reformation, zugeschrieben; vgl. hier.




O meine Brüder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fällt, das soll man auch noch stoßen!

Das alles von Heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stoßen!

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen, Dritter Teil, Von alten und neuen Tafeln, 20

 

Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie, viertes Hauptstück: Sprüche und Zwischenspiele, 146

 

 

Von der Erleichterung des Lebens. – Ein Hauptmittel, um sich das Leben zu erleichtern, ist das Idealisieren aller Vorgänge desselben; man soll sich aber aus der Malerei recht deutlich machen, was idealisieren heißt. Der Maler verlangt, daß der Zuschauer nicht zu genau, zu scharf zusehe, er zwingt ihn in eine gewisse Ferne zurück, damit er von dort aus betrachte; er ist genötigt, eine ganz bestimmte Entfernung des Betrachters vom Bilde vorauszusetzen; ja er muß sogar ein ebenso bestimmtes Maß von Schärfe des Auges bei seinem Betrachter annehmen! in solchen Dingen darf er durchaus nicht schwanken. Jeder also, der sein Leben idealisieren will, muß es nicht zu genau sehen wollen und seinen Blick immer in eine gewisse Entfernung zurückbannen. Dieses Kunststück verstand zum Beispiel Goethe.“

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, erster Teil, fünftes Hauptstück: Anzeichen höherer und niederer Kultur, 279 Von der Erleichterung des Lebens; auch: Menschliches, Allzumenschliches, 1878-1880, S. 212

 

Erschwerung als Erleichterung und umgekehrt. – Vieles, was auf gewissen Stufen des Menschen Erschwerung des Lebens ist, dient einer höheren Stufe als Erleichterung, weil solche Menschen stärkere Erschwerungen des Lebens kennengelernt haben. Ebenso kommt das Umgekehrte vor: so hat zum Beispiel die Religion ein doppeltes Gesicht, je nachdem ein Mensch zu ihr hinaufblickt, um von ihr sich seine Last und Not abnehmen zu lassen, oder auf sie hinabsieht, wie auf die Fessel, welche ihm angelegt ist, damit er nicht zu hoch in die Lüfte steige.“

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, erster Teil, fünftes Hauptstück: Anzeichen höherer und niederer Kultur, 280 Erschwerung als Erleichterung und umgekehrt; auch: Menschliches, Allzumenschliches, 1878-1880, S. 212-213

 

“Der Wanderer. - Wer nur einigermaßen zur Freiheit der Vernunft gekommen ist, kann sich auf Erden nicht anders fühlen denn als Wanderer, - wenn auch nicht als Reisender nach einem letzten Ziele: denn dieses gibt es nicht. Wohl aber will er zusehen und die Augen dafür offen haben, was alles in der Welt eigentlich vorgeht; deshalb darf er sein Herz nicht allzufest an alles Einzelne anhängen; es muß in ihm selber etwas Wanderndes sein, das seine Freude an dem Wechsel und der Vergänglichkeit habe.”

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, erster Teil, neuntes Hauptstück: Der Mensch mit sich allein, 638 Der Wanderer

 

“Gut deutsch sein heißt sich entdeutschen. - Das, worin man die nationalen Unterschiede findet, ist viel mehr, als man bis jetzt eingesehen hat, nur der Unterschied verschiedener Kulturstufen und zum geringsten Teile etwas Bleibendes (und auch dies nicht in einem strengen Sinne). Deshalb ist alles Argumentieren aus dem National-Charakter so wenig verpflichtend für den, welcher an der Umschaffung der Überzeugungen, das heißt an der Kultur arbeitet. Erwägt man zum Beispiel, was alles schon deutsch gewesen ist, so wird man die theoretische Frage: was ist deutsch? sofort durch die Gegenfrage verbessern: »was ist jetzt deutsch?« - und jeder gute Deutsche wird sie praktisch, gerade durch Überwindung seiner deutschen Eigenschaften, lösen. Wenn nämlich ein Volk vorwärtsgeht und wächst, so sprengt es jedesmal den Gürtel, der ihm bis dahin sein nationales Ansehen gab; bleibt es stehen, verkümmert es, so schließt sich ein neuer Gürtel um seine Seele; die immer härter werdende Kruste baut gleichsam ein Gefängnis herum, dessen Mauern immer wachsen. Hat ein Volk also sehr viel Festes, so ist dies ein Beweis, daß es versteinern will und ganz und gar Monument werden möchte: wie es von einem bestimmten Zeitpunkte an das Ägyptertum war. Der also, welcher den Deutschen wohlwill, mag für seinen Teil zusehen, wie er immer mehr aus dem, was deutsch ist, hinauswachse. Die Wendung zum Undeutschen ist deshalb immer das Kennzeichen der Tüchtigen unseres Volkes gewesen.

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, zweiter Teil, erste Abteilung: Vermischte Meinungen und Sprüche, 323 Gut deutsch sein heißt sich entdeutschen

 

“Gewohnheit der Gegensätze. - Die allgemeine ungenaue Beobachtung sieht in der Natur überall Gegensätze (wie z.B. "warm und kalt"), wo keine Gegensätze, sondern nur Gradverschiedenheiten sind. (...) Unsäglich viel Schmerzhaftigkeit, Anmaßung, Härte, Entfremdung, Erkältung ist so in die menschliche Empfindung hineingekommen, dadurch daß man Gegensätze an Stelle der Übergänge zu sehen meinte.”

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, zweiter Teil, zweite Abteilung: Der Wanderer und sein Schatten, 67 Gewohnheit der Gegensätze

 

 

„Herkunft der Sünde. – Sünde, so wie sie jetzt überall empfunden wird, wo das Christentum herrscht oder einmal geherrscht hat: Sünde ist ein jüdisches Gefühl und eine jüdische Erfindung, und in Hinsicht auf diesen Hintergrund aller christlichen Moralität war in der Tat das Christentum darauf aus, die ganze Welt zu »verjüdeln«. Bis zu welchem Grade ihm dies in Europa gelungen ist, das spürt man am feinsten an dem Grade von Fremdheit, den das griechische Altertum – eine Welt ohne Sündengefühle – immer noch für unsre Empfindung hat, trotz allem guten Willen zur Annäherung und Einverleibung, an dem es ganze Geschlechter und viele ausgezeichnete einzelne nicht haben fehlen lassen. »Nur wenn du bereuest, ist Gott dir gnädig« – das ist einem Griechen ein Gelächter und ein Ärgernis: er würde sagen »so mögen Sklaven empfinden«. Hier ist ein Mächtiger, Übermächtiger und doch Rachelustiger vorausgesetzt: seine Macht ist so groß, daß ihm ein Schaden überhaupt nicht zugefügt werden kann außer in dem Punkte der Ehre. Jede Sünde ist eine Respekts-Verletzung, ein crimen laesae majestatis divinae – und nichts weiter! Zerknirschung, Entwürdigung, Sich-im-Staube-wälzen – das ist die erste und letzte Bedingung, an die seine Gnade sich knüpft: Wiederherstellung also seiner göttlichen Ehre! Ob mit der Sünde sonst Schaden gestiftet wird, ob ein tiefes, wachsendes Unheil mit ihr gepflanzt ist, das einen Menschen nach dem andern wie eine Krankheit faßt und würgt – das läßt diesen ehrsüchtigen Orientalen im Himmel unbekümmert: Sünde ist ein Vergehen an ihm, nicht an der Menschheit! – wem er seine Gnade geschenkt hat, dem schenkt er auch diese Unbekümmertheit um die natürlichen Folgen der Sünde. Gott und Menschheit sind hier so getrennt, so entgegengesetzt gedacht, daß im Grunde an letzterer überhaupt nicht gesündigt werden kann – jede Tat soll nur auf ihre übernatürlichen Folgen hin angesehen werden, nicht auf ihre natürlichen: so will es das jüdische Gefühl, dem alles Natürliche das Unwürdige an sich ist. Den Griechen dagegen lag der Gedanke näher, daß auch der Frevel Würde haben könne – selbst der Diebstahl, wie bei Prometheus, selbst die Abschlachtung von Vieh als Äußerung eines wahnsinnigen Neides, wie bei Ajax: sie haben in ihrem Bedürfnis, dem Frevel Würde anzudichten und einzuverleiben, die Tragödie erfunden – eine Kunst und eine Lust, die dem Juden trotz aller seiner dichterischen Begabung und Neigung zum Erhabnen im tiefsten Wesen fremd geblieben ist.“

Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1882, S. 149-150

 

„Schlechtes Gewissen. – Alles, was er jetzt tut, ist brav und ordentlich – und doch hat er ein schlechtes Gewissen dabei. Denn das Außerordentliche ist seine Aufgabe.“

Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1882, S. 167

 

 

„Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, - ein Seil über einem Abgrunde.“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen, 1883-1885, Erster Teil, Zarathustras Vorrede, 4; zitiert von Tobi

 

„Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen, 1883-1885, S. 82

 

„Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen, Herr zu sein. Dass dem Stärkeren diene das Schwächere, dazu überredet es sein Wille, der über noch Schwächeres Herr sein will: dieser Lust allein mag es nicht entraten. Und wie das Kleinere sich dem Größeren hingiebt, dass es Lust und Macht am Kleinsten habe: also giebt sich auch das Grösste noch hin und setzt um der Macht willen – das Leben dran. Das ist die Hingebung des Grössten, dass es Wagnis ist und Gefahr, und um den Tod ein Würfelspielen.“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen, 1883-1885, S. 143-144

 

„Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern – so lehre ich's dich – Wille zur Macht!“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen, 1883-1885, S. 145

 

„Also redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich mürrisch und fragte: »Kirche? Was ist denn das?« »Kirche?« antwortete ich, »das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste. Doch schweig still, du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon! Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit Rauch und Gebrülle – dass er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Dinge. Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; und man glaubt's ihm auch.« – Als ich das gesagt hatte, gebärdete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid. »Wie?« schrie er, »das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt's ihm auch?« Und so viel Dampf und grässliche Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Ärger und Neid ersticken.“

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Ein Buch für alle und keinen, 1883-1885, S. 165-166

 

 

Reife des Manns: das heißt den Ernst wiedergefunden haben, den man als Kind hatte, beim Spiel.

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie, viertes Hauptstück: Sprüche und Zwischenspiele, 94

 

„Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter.“

Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 1886, 78, in: Werke III, S. 73 bzw. 627

 

 

„Ist nicht gerade die Selbstverkleinerung des Menschen, sein Wille zur Selbstverkleinerung seit Kopernikus in einem unaufhaltsamen Fortschritte? Ach, der Glaube an seine Würde, Einzigkeit, Unersetzlichkeit in der Rangabfolge der Wesen ist dahin – er ist Tier geworden, Tier, ohne Gleichnis, Abzug und Vorbehalt, er, der in seinem früheren Glauben beinahe Gott ((»Kind Gottes«, »Gottmensch«) war .... Seit Kopernikus scheint der Mensch auf eine schiefe Ebene geraten – er rollt immer schneller nunmehr aus dem Mittelpunkte weg – wohin? ins Nichts? ins »durchbohrende Gefühl seines Nichts«? .... Wohlan! dies eben wäre der gerade Weg – ins alte Ideal?“

Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, 1887 in: Werke III, S. 339 bzw. 893

 

„Europa ist heute reich und erfinderisch vor allem in Erregungsmitteln, es scheint nichts nötiger zu haben als Stimulantia und gebrannte Wasser: daher auch die ungeheure Fälscherei in Idealen, diesen gebranntesten Wassern des Geistes, daher auch die widrige, übelriechende, verlogne, pseudo-alkoholische Luft überall. Ich möchte wissen, wieviel Schiffsladungen von nachgemachtem Idealismus, von Helden-Kostümen und Klapperblech großer Worte, wieviel Tonnen verzuckerten spirituosen Mitgefühls, wieviel Stelzbeine »edler Entrüstung« zur Nachhilfe geistig Plattfüßiger, wieviel Komödianten des christlich-moralischen Ideals heute aus Europa exportiert werden müßten, damit seine Luft wieder reinlicher röche .... Ersichtlich steht in Hinsicht auf diese Überproduktion eine neue Handels–Möglichkeit offen, ersichtlich ist mit kleinen Ideal-Götzen und zugehörigen »Idealisten« ein neues »Geschäft« zu machen – man überhöre diesen Zaunpfahl nicht! Wer hat Mut genug dazu? – wir haben es in der Hand, die ganze Erde zu »idealisieren«!.. Aber was rede ich von Mut: hier tut eins nur not, eben die Hand, eine unbefangne, eine sehr unbefangne Hand ....“

Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, 1887 in: Werke III, S. 342-343 bzw. 896-897

 

 

"Posthume Menschen – ich zum Beispiel – werden schlechter verstanden als zeitgemäße, aber besser gehört. Strenger: wir werden nie verstanden – und daher unsre Autorität ..."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 15

 

"Wie? ihr wähltet die Tugend und den gehobenen Busen und seht zugleich scheel nach den Vortheilen der Unbedenklichen? – Aber mit der Tugend verzichtet man auf »Vortheile« ... (einem Antisemiten an die Hausthür)."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 19

 

"Ich mißtraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist ein Mangel an Rechtschaffenheit."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 26

 

"Es giebt einen Haß auf Lüge und Verstellung aus einem reizbaren Ehrbegriff; es giebt einen ebensolchen Haß aus Feigheit, insofern die Lüge, durch ein göttliches Gebot, verboten ist. Zu feige, um zu lügen ..."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 32

 

"Der Enttäuschte spricht. – Ich suchte nach großen Menschen, ich fand immer nur die Affen ihres Ideals."

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph und klassischer Philologe, Götzen-Dämmerung, Sprüche und Pfeile, 39

 

„Um allein zu leben, muß man ein Tier oder ein Gott sein – sagt Aristoteles. Fehlt der dritte Fall: man muß beides sein – Philosoph.“

Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III, S. 389 bzw. 943; vgl. hier.

 

„Der Mensch strebt nicht nach Glück; nur der Engländer tut das.“

Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III, S. 390 bzw. 944

 

„Wenn das Weib männliche Tugenden hat, so ist es zum Davonlaufen; und wenn es keine männliche Tugenden hat, so läuft es selbst davon.“

Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III, S. 392 bzw. 951

 

„Sokrates gehörte, seiner Herkunft nach, zum niedersten Volk: Sokrates war Pöbel.“

Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung, 1889, in: Werke III, S. 398 bzw. 952

 

 

„Hiermit bin ich am Schluß und spreche mein Urteil. Ich verurteile das Christentum, ich erhebe gegen die christliche Kirche die furchtbarste aller Anklagen, die je ein Ankläger in den Mund genommen hat. Sie ist mir die höchste aller denkbaren Korruptionen, sie hat den Willen zur letzten auch nur möglichen Korruption gehabt. Die christliche Kirche ließ nichts mit ihrer Verderbnis unberührt, sie hat aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht. Man wage es noch, mir von ihren »humanitären« Segnungen zu reden! Irgendeinen Notstand abschaffen ging wider ihre tiefste Nützlichkeit: sie lebte von Notständen, sie schuf Notstände, um sich zu verewigen. Der Wurm der Sünde zum Beispiel: mit diesem Notstande hat erst die Kirche die Menschheit bereichert! – Die »Gleichheit der Seelen vor Gott«, diese Falschheit, dieser Vorwand für die rancunes aller Niedriggesinnten, dieser Sprengstoff von Begriff, der endlich Revolution, moderne Idee und Niedergangs-Prinzip der ganzen Gesellschafts-Ordnung geworden ist – ist christlicher Dynamit. »Humanitäre« Segnungen des Christentums! Aus der humanitas einen Selbst-Widerspruch, eine Kunst der Selbstschändung, einen Willen zur Lüge um jeden Preis, einen Widerwillen, eine Verachtung aller guten und rechtschaffnen Instinkte herauszuzüchten! Das wären mir Segnungen des Christentums! – Der Parasitismus als einzige Praxis der Kirche; mit ihrem Bleichsuchts-, ihrem »Heiligkeits«-Ideale jedes Blut, jede Liebe, jede Hoffnung zum Leben austrinkend; das Jenseits als Wille zur Verneinung jeder Realität; das Kreuz als Erkennungszeichen für die unterirdischste Verschwörung, die es je gegeben hat – gegen Gesundheit, Schönheit, Wohlgeratenheit, Tapferkeit, Geist, Güte der Seele, gegen das Leben selbst.“

Friedrich Nietzsche, Der Antichrist, 1889, in: Werke III, S. 680-681 bzw. 1234-1235

 

„Diese ewige Anklage des Christentums will ich an alle Wände schreiben, wo es nur Wände gibt – ich habe Buchstaben, um auch Blinde sehend zu machen .... Ich heiße das Christentum den einen großen Fluch, die eine große innerlichste Verdorbenheit, den einen großen Instinkt der Rache, dem kein Mittel giftig, heimlich, unterirdisch, klein genug ist – ich heiße es den einen unsterblichen Schandfleck der Menschheit ....“

Friedrich Nietzsche, Der Antichrist, 1889, in: Werke III, S. 681 bzw. 1235

 

„Und man rechnet die Zeit nach dem dies nefastus, mit dem dies Verhängnis anhob – nach dem ersten Tag des Christentums! – Warum nicht lieber nach seinem letzten? – Nach heute? – Umwertung aller Werte!“

Friedrich Nietzsche, Der Antichrist, 1889, in: Werke III, S. 681 bzw. 1235

 

 

„Das Weib zum Beispiel ist rachsüchtig: das ist in seiner Schwäche bestimmt, so gut wie seine Reizbarkeit für fremde Not.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo*), 1889, S. 20

*) Die Worte "Ecce homo" (lat., "Sieh, ein Mensch!", d. h. "Seht, was für ein Mensch!") entstammen dem Neuen Testament, und zwar dem Evangelium des Johannes, Kapitel 19, Vers 5. Mit diesem Ausdruck der Hochachtung erklärte der römische Statthalter von Judäa, Pontius Pilatus (26-36 n. Chr.) den gegen Jesus von Nazareth aufgebrachten Leuten, dass seiner Auffassung nach der festgenommene und mit einer Krone aus Dornenzweigen verhöhnte Jesus sich keines Vergehens schuldig gemacht habe.

 

“Ich kenne keine andre Art, mit grossen Aufgaben zu verkehren als das Spiel: dies ist, als Anzeichen der Grösse, eine wesentliche Voraussetzung. Der geringste Zwang, die düstre Miene, irgend ein harter Ton im Halse sind alles Einwände gegen einen Menschen, um wie viel mehr gegen sein Werk!… Man darf keine Nerven haben… Auch an der Einsamkeit leiden ist ein Einwand, – ich habe immer nur an der »Vielsamkeit« gelitten… In einer absurd frühen Zeit, mit sieben Jahren, wusste ich bereits, dass mich nie ein menschliches Wort erreichen würde: hat man mich je darüber betrübt gesehn? – Ich habe heute noch die gleiche Leutseligkeit gegen Jedermann, ich bin selbst voller Auszeichnung für die Niedrigsten: in dem Allen ist nicht ein Gran von Hochmuth, von geheimer Verachtung. Wen ich verachte, der erräth, dass er von mir verachtet wird: ich empöre durch mein blosses Dasein Alles, was schlechtes Blut im Leibe hat…”

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, Essayist, Lyriker und Schriftsteller, Ecce Homo. Wie man wird, was man ist, Warum ich so klug bin, 10 & 1889, S. 43; vgl. hier.

 

„Ich bin der Antiesel par excellence und damit ein welthistorisches Untier – ich bin, auf griechisch und nicht nur auf griechisch, der Antichrist.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 48

 

„Daß aus meinen Schriften ein Psychologe redet, der nicht seinesgleichen hat, das ist vielleicht die erste Einsicht, zu der ein guter Leser gelangt – ein Leser, wie ich ihn verdiene, der mich liest, wie gute alte Philologen ihren Horaz lasen.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 51

 

„Das Weib ist unsäglich viel böser als der Mann, auch klüger; Güte am Weibe ist schon eine Form der Entartung. Bei allen sogenannten »schönen Seelen« gibt es einen physiologischen Übelstand auf dem Grunde – ich sage nicht alles, ich würde sonst medi-zynisch werden.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 52

 

„Der Kampf um gleiche Rechte ist sogar ein Symptom von Krankheit: jeder Arzt weiß das. – Das Weib, je mehr Weib es ist, wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen Rechte überhaupt: der Naturzustand, der ewige Krieg zwischen den Geschlechtern gibt ihm ja bei weitem den ersten Rang.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 52

 

„Hat man Ohren für meine Definition der Liebe gehabt? es ist die einzige, die eines Philosophen würdig ist. Liebe – in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhaß der Geschlechter.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 52-53

 

„Hat man meine Antwort auf die Frage gehört, wie man ein Weib kuriert – »erlöst«? Man macht ihm ein Kind. Das Weib hat Kinder nötig, der Mann ist immer nur Mittel: also sprach Zarathustra.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 53

 



Nietzsche über seine Bücher

 

„»Menschliches, Allzumenschliches« ist das Denkmal einer Krisis. Es heißt sich ein Buch für freie Geister: fast jeder Satz darin drückt einen Sieg aus – ich habe mich mit demselben vom Unzugehörigen in meiner Natur freigemacht. Unzugehörig ist mir der Idealismus: der Titel sagt »wo ihr ideale Dinge seht, sehe ich – Menschliches, ach nur Allzumenschliches!«. .... Ich kenne den Menschen besser .... In keinem andren Sinne will das Wort »freier Geist« hier verstanden werden: ein freigewordner Geist, der von sich selber wieder Besitz ergriffen hat.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 68

 

„Morgenröte .... Mit diesem Buche beginnt mein Feldzug gegen die Moral.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 75

 

„Ich erzähle nunmehr die Geschichte des Zarathustra. Die Grundkonzeption des Werks, der Ewige-Wiederkunfts-Gedanke, die höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann –, gehört in den August des Jahres 1881: er ist auf ein Blatt hingeworfen, mit der Unterschrift: »6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit«. Ich ging an jenem Tage am See von Silvaplana durch die Wälder; bei einem mächtigen pyramidal aufgetürmten Block unweit Surlei machte ich halt. Da kam mir dieser Gedanke.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 81

 

„Den Vormittag stieg ich in südlicher Richtung auf der herrlichen Straße nach Zoagli hin in die Höhe, an Pinien vorbei und weitaus das Meer überschauend; des Nachmittags, so oft es nur die Gesundheit erlaubte, umging ich die ganze Bucht von Santa Margherita bis hinter nach Porto fino. Dieser Ort und diese Landschaft ist durch die große Liebe, welche Kaiser Friedrich der Dritte für sie fühlte, meinem Herzen noch näher gerückt; ich war zufällig im Herbst 1886 wieder an dieser Küste, als er zum letztenmal diese kleine vergessene Welt von Glück besuchte. – Auf diesen beiden Wegen fiel mir der ganze erste Zarathustra ein, vor allem Zarathustra selber, als Typus: richtiger, er überfiel mich.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 83

 

„Genealogie der Moral .... Die Wahrheit der ersten Abhandlung ist die Psychologie des Christentums: die Geburt des Christentums aus dem Geiste des Ressentiment, nicht, wie wohl geglaubt wird, aus dem »Geiste« – eine Gegenbewegung ihrem Wesen nach, der große Aufstand gegen die Herrschaft vornehmer Werte. Die zweite Abhandlung gibt die Psychologie des Gewissens: dasselbe ist nicht, wie wohl geglaubt wird, »die Stimme Gottes im Menschen« – es ist der Instinkt der Grausamkeit, der sich rückwärts wendet, nachdem er nicht mehr nach außen hin sich entladen kann. Die Grausamkeit als einer der ältesten und unwegdenkbarsten Kultur-Untergründe hier zum ersten Male ans Licht gebracht. Die dritte Abhandlung gibt die Antwort auf die Frage, woher die ungeheure Macht des asketischen Ideals, des Priester-Ideals, stammt, obwohl dasselbe das schädliche Ideal par excellence, ein Wille zum Ende, ein décadence-Ideal ist. Antwort: nicht, weil Gott hinter den Priestern tätig ist, was wohl geglaubt wird, sondern faute de mieux – weil es das einzige Ideal bisher war, weil es keinen Konkurrenten hatte. »Denn der Mensch will lieber noch das Nichts wollen als nicht wollen«. .... – Vor allem fehlte ein Gegen-Ideal – bis auf Zarathustra. – Man hat mich verstanden. Drei entscheidende Vorarbeiten eines Psychologen für eine Umwertung aller Werte. – Dies Buch enthält die erste Psychologie des Priesters.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 98-99

 

„Das, was Götze auf dem Titelblatt heißt, ist ganz einfach das, was bisher Wahrheit genannt wurde. Götzen-Dämmerung – auf deutsch: es geht zu Ende mit der alten Wahrheit.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 100

 



„Die Deutschen werden auch in meinem Falle wieder alles versuchen, um aus einem ungeheuren Schicksal eine Maus zu gebären. Sie haben sich bis jetzt an mir kompromittiert, ich zweifle, daß sie es in der Zukunft besser machen.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 106

 

„Das erste, woraufhin ich mir einen Menschen »nierenprüfe«, ist, ob er ein Gefühl für Distanz im Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er distinguiert: damit ist man gentilhomme; in jedem andren Fall gehört man rettungslos unter den weitherzigen, ach! so gutmütigen Begriff der canaille. Aber die Deutschen sind canaille – ach! sie sind so gutmütig. Man erniedrigt sich durch den Verkehr mit Deutschen: der Deutsche stellt gleich. Rechne ich meinen Verkehr mit einigen Künstlern, vor allem mit Richard Wagner ab, so habe ich keine gute Stunde mit Deutschen verlebt.“

Friedrich Nietzsche, Ecce homo, 1889, S. 108

 

 

„Der Mohammedanismus hat wiederum vom Christentum gelernt: die Benutzung des »Jenseits« als Straf-Organ.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 109

 

„Die Moralen und Religionen sind die Hauptmittel, mit denen man aus den Menschen gestalten kann, was einem beliebt: vorausgesetzt, daß man einen Überschuß von schaffenden Kräften hat und seinen Willen über lange Zeiträume durchsetzen kann.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 110

 

„Wie eine ja-sagende semitische Religion, die Ausgeburt der herrschenden Klasse, aussieht: das Gesetzbuch Mohammeds, das alte Testament in den älteren Teilen. (Der Mohammedanismus, als eine Religion für Männer, hat eine tiefe Verachtung für die Sentimentalität und Verlogenheit des Christentums ..., einer Weibs-Religion, als welche er sie fühlt –.)“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 110

 

„Wie eine nein-sagende semitische Religion, die Ausgeburt der unterdrückten Klasse, aussieht: das neue Testament (– nach indisch-arischen Begriffen: eine Tschandala-Religion).“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 110

 

„Wie eine nein-sagende arische Religion, gewachsen unter den herrschenden Ständen: der Buddhismus.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 110

 

„Es ist vollkommen in Ordnung, daß wir keine Religion unterdrückter arischer Rassen haben: denn das ist ein Widerspruch: eine Herrenrasse ist obenauf oder geht zugrunde.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 110-111

 

„An sich hat eine Religion nichts mit der Moral zu tun: aber die beiden Abkömmlinge der jüdischen Religion sind beide wesentlich moralische Religionen – solche, die Vorschriften darüber geben, wie gelebt werden soll und mit Lohn und Strafe ihren Forderungen Gehör schaffen.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 111

 

„Heidnisch – christlich. – Heidnisch ist das Jasagen zum Natürlichen, das Unschuldsgefühl im Natürlichen, »die Natürlichkeit«. Christlich ist das Neinsagen zum Natürlichen, das Unwürdigkeits-Gefühl im Natürlichen, die Widernatürlichkeit.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 111

 

„Der christliche Priester ist von Anfang an der Todfeind der Sinnlichkeit: man kann sich keinen größeren Gegensatz denken, als die unschuldig ahnungsvolle und feierliche Haltung, mit der z.B. in den ehrwürdigsten Frauenkulten Athens die Gegenwart der geschlechtlichen Symbole empfunden wurde. Der Akt der Zeugung ist das Geheimniß an sich in allen nicht-asketischen Religionen: eine Art Symbol der Vollendung und der geheimnißvollen Absicht, der Zukunft: der Wiedergeburt, Unsterblichkeit.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 111-112

 

„Die große Lüge in der Historie: als ob es die Verderbnis des Heidentums gewesen wäre, die dem Christentum die Bahn gemacht habe! Aber es war die Schwächung und Vermoralisierung des antiken Menschen! Die Umdeutung der Naturtriebe in Laster war schon vorhergegangen!“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 112

 

„Im Buddhismus überwiegt dieser Gedanke: »Alle Begierden, alles, was Affekt, was Blut macht, zieht zu Handlungen fort« – nur insofern wird gewarnt vor dem Bösen. Denn Handeln – das hat keinen Sinn, Handeln hält im Dasein fest: alles Dasein aber hat keinen Sinn. Sie sehen im Bösen den Antrieb zu etwas Unlogischem: zur Bejahung von Mitteln, deren Zweck man verneint. Sie suchen nach einem Wege zum Nichtsein, und deshalb perhorreszieren sie alle Antriebe seitens der Affekte. Z.B. ja nicht sich rächen! ja nicht feind sein! – Der Hedonismus der Müden gibt hier die höchsten Wertmaße ab. Nichts ist dem Buddhisten ferner als der jüdische Fanatismus eines Paulus: nichts würde mehr seinem Instinkt widerstreben als diese Spannung, Flamme, Unruhe des religiösen Menschen, vor allem jene Form der Sinnlichkeit, welche das Christentum mit dem Namen der »Liebe« geheiligt hat. Zu alledem sind es die gebildeten und sogar übergeistigten Stände, die im Buddhismus ihre Rechnung finden: eine Rasse, durch einen jahrhundertelangen Philosophen-Kampf abgesotten und müde ge macht, nicht aber unterhalb aller Kultur wie die Schichten, aus denen das Christentum entsteht... Im Ideal des Buddhismus erscheint das Loskommen auch von Gut und Böse wesentlich: es wird da eine raffinierte Jenseitigkeit der Moral ausgedacht, die mit dem Wesen der Vollkommenheit zusammenfällt, unter der Voraussetzung, daß man auch die guten Handlungen bloß zeitweilig nötig hat, bloß als Mittel, -nämlich um von allem Handeln loszukommen.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 114-115

 

„Das Christentum ist ein naiver Ansatz zu einer buddhistischen Friedensbewegung, mitten aus dem eigentlichen Herde des Ressentiments heraus... aber durch Paulus zu einer heidnischen Mysterienlehre umgedreht, welche endlich sich mit der ganzen staatlichen Organisation vertragen lernt... und Kriege führt, verurteilt, foltert, schwört, haßt. Paulus geht von dem Mysterien-Bedürfnis der großen, religiös-erregten Menge aus: er sucht ein Opfer, eine blutige Phantasmagorie, die den Kampf aushält mit den Bildern der Geheimkulte: Gott am Kreuze, das Bluttrinken, die unio mystica mit dem »Opfer«. Er sucht die Fortexistenz (die selige, entsühnte Fortexistenz der Einzelseele) als Auferstehung in Kausalverbindung mit jenem Opfer zu bringen (nach dem Typus des Dionysos, Mithras, Osiris). Er hat nötig, den Begriff Schuld und Sünde in den Vordergrund zu bringen, nicht eine neue Praxis (wie sie Jesus selbst zeigte und lehrte), sondern einen neuen Kultus, einen neuen Glauben, einen Glauben an eine wundergleiche Verwandlung (»Erlösung« durch den Glauben). Er hat das große Bedürfnis der heidnischen Welt verstanden und aus den Tatsachen vom Leben und Tode Christi eine vollkommen willkürliche Auswahl gemacht, alles neu akzentuiert, überall das Schwergewicht verlegt... er hat prinzipiell das ursprüngliche Christentum annulliert .... Das Attentat auf Priester und Theologen mündete, dank dem Paulus, in eine neue Priesterschaft und Theologie – einen herrschenden Stand, auch eine Kirche. Das Attentat auf die übermäßige Wichtigtuerei der »Person« mündete in den Glauben an die »ewige Person« (in die Sorge ums »ewige Heil« ...), in die paradoxeste Übertreibung des Personal-Egoismus. Das ist der Humor der Sache, ein tragischer Humor: Paulus hat gerade das im großen Stile wieder aufgerichtet, was Christus durch sein Leben annulliert hatte. Endlich, als die Kirche fertig ist, nimmt sie sogar das Staats-Dasein unter ihre Sanktion.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 119-120

 

„Die Kirche ist exakt das, wogegen Jesus gepredigt hat – und wogegen er seine Jünger kämpfen lehrte.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 120

 

„Diese kleinen Herdentier-Tugenden führen ganz und gar nicht zum »ewigen Leben«: sie dergestalt in Szene setzen, und sich mit ihnen, mag sehr klug sein, aber für den, der hier noch seine Augen auf hat, bleibt es trotz alledem das lächerlichste aller Schauspiele. Man verdient ganz und gar nicht ein Vorrecht auf Erden und im Himmel, wenn man es zur Vollkommenheit einer kleinen, lieben Schafsmäßigkeit gebracht hat; man bleibt damit, günstigenfalls, immer bloß ein kleines, liebes, absurdes Schaf mit Hörnern – vorausgesetzt, daß man nicht vor Eitelkeit platzt und durch richterliche Attitüden skandalisiert. Die ungeheure Farben-Verklärung, mit der hier die kleinen Tugenden illuminiert werden – wie als Widerglanz göttlicher Qualitäten! Die natürliche Absicht und Nützlichkeit jeder Tugend grundsätzlich verschwiegen; sie ist nur in Hinsicht auf ein göttliches Gebot, ein göttliches Vorbild wertvoll, nur in Hinsicht auf jenseitige und geistliche Güter. (Prachtvoll: als ob sichs ums »Heil der Seele« handelte: aber es war ein Mittel, um es hier mit möglichst viel schönen Gefühlen »auszuhalten«.)“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 144

 

Erster Satz: die Gesundheit der Seele wird als Krankheit angesehen, mißtrauisch ....
Zweiter Satz: die Voraussetzungen für ein starkes und blühendes Leben, die starken Begehrungen und Leidenschaften, gelten als Einwände gegen ein starkes und blühendes Leben.
Dritter Satz: Alles, woher dem Menschen Gefahr droht, alles, was über ihn Herr werden und ihn zugrunde richten kann, ist böse, ist verwerflich – ist mit der Wurzel aus seiner Seele auszureißen.
Vierter Satz: der Mensch, ungefährlich gemacht, gegen sich und andre, schwach, niedergeworfen in Demut und Bescheidenheit, seiner Schwäche bewußt, der »Sünder«, – das ist der wünschbarste Typus, der, welchen man mit einiger Chirurgie der Seele auch herstellen kann ....“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 177-178

 

„Wogegen ich protestiere? Daß man nicht diese kleine Mittelmäßigkeit, dieses Gleichgewicht einer Seele, welche nicht die großen Antriebe der großen Krafthäufungen kennt, als etwas Hohes nimmt, womöglich gar als Maß des Menschen. Bacon von Verulam sagt: Infimarum virtutum apud vulgus laus est, mediarum admiratio, suprematum sensus nullus. Das Christentum aber gehört, als Religion, zum vulgus: es hat für die höchste Gattung virtus keinen Sinn.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 178

 

„Denken wir nicht gering von dem, was ein paar Jahrtausende Moral unserm Geiste angezüchtet haben! “

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 190

 

„Bescheiden, fleißig, wohlwollend, mäßig: so wollt ihr den Menschen? den guten Menschen? Aber mich dünkt das nur der ideale Sklave, der Sklave der Zukunft.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 247

 

„Die Metamorphosen der Sklaverei; ihre Verkleidung unter religiöse Mäntel; ihre Verklärung durch die Moral.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 247

 

„Der ideale Sklave (der »gute« Mensch). – Wer sich nicht als »Zweck« ansetzen kann, noch überhaupt von sich aus Zwecke ansetzen kann, der gibt der Moral der Entselbstung die Ehre – instinktiv. Zu ihr überredet ihn alles: seine Klugheit, seine Erfahrung, seine Eitelkeit. Und auch der Glaube ist eine Entselbstung.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 247

 

„Der Mächtige lügt immer.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 257

 

„Die normale Unbefriedigung unsrer Triebe, z. B. des Hungers, des Geschlechtstriebs, des Bewegungstriebs, enthält in sich durchaus noch nichts Herabstimmendes; sie wirkt vielmehr agazierend auf das Lebensgefühl, wie jeder Rhythmus von kleinen, schmerzhaften Reizen es stärkt, was auch die Pessimisten uns vorreden mögen. Diese Unbefriedigung, statt das Leben zu verleiden, ist das große Stimulans des Lebens. (Man könnte vielleicht die Lust überhaupt bezeichnen als einen Rhythmus kleiner Unlustreize.)“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 470

 

„Ihr habt alle nicht den Mut, einen Menschen zu töten, oder auch nur zu peitschen, oder auch nur zu –, aber die ungeheure Maschine von Staat überwältigt den einzelnen, so daß er die Verantwortlichkeit für das, was er tut, ablehnt (Gehorsam, Eid usw.). – Alles, was ein Mensch im Dienste des Staates tut, geht wider seine Natur; – insgleichen alles, was er in Hinsicht auf den zukünftigen Dienst im Staate lernt, geht wider seine Natur. Das wird erreicht durch die Arbeitsteilung (so daß niemand die ganze Verantwortlichkeit mehr hat): der Gesetzgeber – und der, der das Gesetz ausführt; der Disziplin-Lehrer – und die, welche in der Disziplin hart und streng geworden sind.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 485-486

 

„Das furchtbarste und gründlichste Verlangen des Menschen, sein Trieb nach Macht – man nennt diesen Trieb »Freiheit« – muß am längsten in Schranken gehalten werden. Deshalb ist die Ethik bisher, mit ihren unbewußten Erziehungs- und Züchtungs-Instinkten, darauf aus gewesen, das Macht-Gelüst in Schranken zu halten: sie verunglimpft das tyrannische Individuum und unterstreicht, mit ihrer Verherrlichung der Gemeindefürsorge und der Vaterlandsliebe, den Herden-Machtinstinkt.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 486

 

„Kritik der »Gerechtigkeit« und »Gleichheit vor dem Gesetz«: was eigentlich damit wegschafft werden soll? Die Spannung, die Feindschaft, der Haß. – Aber ein Irrtum ist es, daß dergestalt »das Glück« gemehrt wird: die Korsen z. B. genießen mehr Glück als die Kontinentalen.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 487

 

„Zur Zukunft der Ehe: – eine Steuer-Mehrbelastung (bei Erbschaften), auch Kriegsdienst-Mehrbelastung der Junggesellen von einem bestimmten Alter an und anwachsend (innerhalb der Gemeinde); Vorteile aller Art für Väter, welche reichlich Knaben in die Welt setzen: unter Umständen eine Mehrheit von Stimmen; ein ärztliches Protokoll, jeder Ehe vorangehend und von den Gemeinde-Vorständen unterzeichnet: worin mehrere bestimmte Fragen seitens der Verlobten und der Ärzte beantwortet sein müssen (»Familien-Geschichte« –); als Gegenmittel gegen die Prostitution (oder als deren Veredelung): Ehen auf Frist, legalisiert (auf Jahre, auf Monate), mit Garantie für die Kinder; jede Ehe verantwortet und befürwortet durch eine bestimmte Anzahl Vertrauensmänner einer Gemeinde: als Gemeinde-Angelegenheit.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 492-493

 

„Die Bewaffnung des Volkes – ist schließlich die Bewaffnung des Pöbels.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 504

 

„Die Wurzel alles Üblen: daß die sklavische Moral der Demut, Keuschheit, Selbstlosigkeit, absoluten Gehorsams gesiegt hat – die herrschenden Naturen wurden dadurch
1. zur Heuchelei,
2. zur Gewissensqual verurteilt – die schaffenden Naturen fühlten sich als Aufrührer gegen Gott, unsicher und gehemmt durch die ewigen Werte.
Die Barbaren zeigten, daß Maßhalten-können bei ihnen nicht zu Hause war: sie fürchteten und verlästerten die Leidenschaften und Triebe der Natur – ebenso der Anblick der herrschenden Cäsaren und Stände. Es entstand andrerseits der Verdacht, daß alle Mäßigung eine Schwäche sei, oder Alt- und Müdewerden (– so hat Larochefoucauld den Verdacht, daß »Tugend« ein schönes Wort sei bei solchen, welchen das Laster keine Lust mehr mache). Das Maßhalten selber war als Sache der Härte, Selbstbezwingung, Askese geschildert, als Kampf mit dem Teufel usw.. Das natürliche Wohlgefallen der ästhetischen Natur am Maße, der Genuß am Schönen des Maßes war übersehen oder verleugnet, weil man eine anti-eudämonistische Moral wollte. Der Glaube an die Lust im Maßhalten fehlte bisher – diese Lust des Reiters auf feurigem Rosse! – Die Mäßigkeit schwacher Naturen mit der Mäßigung der starken verwechselt! In summa: die besten Dinge sind verlästert worden, weil die Schwachen oder die unmäßigen Schweine ein schlechtes Licht darauf warfen – und die besten Menschen sind verborgen geblieben – und haben sich oft selber verkannt.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 592-593

 

„Die typischen Selbstgestaltungen. Oder: die acht Hauptfragen.
1. Ob man sich vielfacher haben will oder einfacher?
2. Ob man glücklicher werden will oder gleichgültiger gegen Glück und Unglück?
3. Ob man zufriedner mit sich werden will oder anspruchsvoller und unerbittlicher?
4. Ob man weicher, nachgebender, menschlicher werden will oder »unmenschlicher«?
5. Ob man klüger werden will oder rücksichtsloser?
6. Ob man ein Ziel erreichen will oder allen Zielen ausweichen (wie es z. B. der Philosoph tut, der in jedem Ziel eine Grenze, einen Winkel, ein Gefängnis, eine Dummheit riecht)?
7. Ob man geachteter werden will oder gefürchteter? Oder verachteter?
8. Ob man Tyrann oder Verführer oder Hirt oder Herdentier werden will?“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 612

 

„Was verdorben ist durch den Mißbrauch, den die Kirche damit getrieben hat:
1. die Askese: man hat kaum noch den Mut dazu, deren natürliche Nützlichkeit, deren Unentbehrlichkeit im Dienste der Willens-Erziehung ans Licht zu ziehen. Unsre absurde Erzieher-Welt, der der »brauchbare Staatsdiener« als regulierendes Schema vorschwebt, glaubt mit »Unterricht«, mit Gehirn-Dressur auszukommen; ihr fehlt selbst der Begriff davon, daß etwas anderes zuerst not tut – Erziehung der Willenskraft; man legt Prüfungen für alles ab, nur nicht für die Hauptsache: ob man wollen kann, ob man versprechen darf: der junge Mann wird fertig, ohne auch nur eine Frage, eine Neugierde für dieses oberste Wertproblem seiner Natur zu haben;
2. das Fasten: in jedem Sinne – auch als Mittel, die feine Genußfähigkeit aller guten Dinge aufrechtzuerhalten (z. B. zeitweise nicht lesen, keine Musik mehr hören, nicht mehr liebenswürdig sein; man muß auch Fasttage für seine Tugend haben);
3. das »Kloster«: die zeitweilige Isolation mit strenger Abweisung z. B. der Briefe; eine Art tiefster Selbstbesinnung und Selbst-Wiederfindung, welche nicht den »Versuchungen« aus dem Wege gehen will, sondern den »Pflichten«: ein Heraustreten aus dem Zirkeltanz des Milieus; ein Abseits von der Tyrannei der Reize und Einströmungen, welche uns verurteilt, unsre Kraft nur in Reaktionen auszugeben, und es nicht mehr erlaubt, daß sie sich häuft bis zur spontanen Aktivität (man sehe sich unsre Gelehrten aus der Nähe an: sie denken nur noch reaktiv, d.h. sie müssen erst lesen, um zu denken);
4. die Feste: Man muß sehr grob sein, um nicht die Gegenwart von Christen und christlichen Werten als einen Druck zu empfinden, unter dem jede eigentliche Feststimmung zum Teufel geht. Im Fest ist einbegriffen: Stolz, Übermut, Ausgelassenheit; der Hohn über alle Art Ernst und Biedermännerei; ein göttliches Jasagen zu sich aus animaler Fülle und Vollkommenheit – lauter Zustände, zu denen der Christ nicht ehrlich ja sagen darf. Das Fest ist Heidentum par excellence;
5. der Mut vor der eigenen Natur: die Kostümierung ins »Moralische«. – Daß man keine Moral-Formel nötig hat, um einen Affekt bei sich gutzuheißen: Maßstab, wie weit einer zur Natur bei sich ja sagen kann – wie viel oder wie wenig er zur Moral rekurrieren muß;
6. der Tod.– Man muß die dumme physiologische Tatsache in eine moralische Notwendigkeit umdrehn. So leben, daß man auch zur rechten Zeit seinen Willen zum Tode hat!“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 616-616

 

„Sich stärker fühlen – oder anders ausgedrückt: die Freude – setzt immer ein Vergleichen voraus (aber nicht notwendig mit anderen, sondern mit sich, inmitten eines Zustands von Wachstum, und ohne daß man erst wüßte, inwiefern man vergleicht –).
Die künstliche Verstärkung: sei es durch aufregende Chemika, sei es durch aufregende Irrtümer (»Wahnvorstellungen«):
z.B. das Gefühl der Sicherheit, wie es der Christ hat; er fühlt sich stark in sei nem Vertrauen-dürfen, in seinem Geduldig- und Gefaßt-sein-dürfen: er verdankt diese künstliche Verstärkung dem Wahne, von einem Gott beschirmt zu sein;
z.B. das Gefühl der Überlegenheit: wie wenn der Kalif von Marokko nur Erdkugeln zu sehen bekommt, auf denen seine drei vereinigten Königreiche vier Fünftel der Oberfläche einnehmen;
z.B. das Gefühl der Einzigkeit: wie wenn der Europäer sich einbildet, daß der Gang der Kultur sich in Europa abspielt, und wenn er sich selber eine Art abgekürzter Weltprozeß scheint: oder der Christ alles Dasein überhaupt um das »Heil des Menschen« sich drehen macht.
– Es kommt darauf an, wo man den Druck, die Unfreiheit empfindet: je nachdem erzeugt sich ein andres Gefühl des Stärker-seins. Einem Philosophen ist z.B. inmitten der kühlsten, transmontansten Abstraktions-Gymnastik zumute wie einem Fisch, der in sein Wasser kommt: während Farben und Töne ihn drücken; gar nicht zu reden von den dumpfen Begehrungen – von dem, was die andern »das Ideal« nennen.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 616-617

 

„Dieselben Bedingungen, welche die Entwicklung des Herdentieres vorwärtstreiben, treiben auch die Entwicklung des Führer-Tiers.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 637

 

„Aus der uns bekannten Welt ist der humanitäre Gott nicht nachzuweisen: so weit kann man euch heute zwingen und treiben. Aber welchen Schluß zieht ihr daraus? »Er ist uns nicht nachweisbar«: Skepsis der Erkenntnis. Ihr alle fürchtet den Schluß »aus der uns bekannten Welt würde ein ganz anderer Gott nachweisbar sein, ein solcher, der zum mindesten nicht humanitär ist« – – und, kurz und gut, ihr haltet euren Gott fest und erfindet für ihn eine Welt, die uns nicht bekannt ist.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 676

 

„Entfernen wir die höchste Güte aus dem Begriff Gottes – sie ist eines Gottes unwürdig. Entfernen wir insgleichen die höchste Weisheit – es ist die Eitelkeit der Philosophen, die diesen Aberwitz eines Weisheits-Monstrums von Gott verschuldet hat: er sollte ihnen möglichst gleichsehen. Nein! Gott die höchste Macht – das genügt! Aus ihr folgt alles, aus ihr folgt – »die Welt«!“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 677

 

„Der Satz vom Bestehen der Energie fordert die ewige Wiederkehr.“

Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, S. 693