"Mit Bewußtsein verachtete er den Bourgeois und war stolz darauf, keiner zu sein. Dennoch lebte er in mancher Hinsicht ganz und gar bürgerlich, er hatte Geld auf der Bank und unterstützte arme Verwandte, er kleidete sich zwar sorglos, doch anständig und unauffällig, er suchte mit der Polizei, dem Steueramt und ähnlichen Mächten in gutem Frieden zu leben."
Hermann Hesse, Der Steppenwolf, Tractat vom Steppenwolf, Suhrkamp, Frankfurt 1974, S.67; vgl. hier und hier.
"Manchmal denke ich nämlich, daß man Sex vom übrigen Leben sogar ganz abkoppeln sollte.
Es haben die meisten (egal ob Frau oder Mann!), die zusammen im Bett landen, immer irgendwie das Gefühl, anschließend Besitzansprüche geltend machen zu können. Bringt das nicht in diesem Zusammenhang soviel Unglück über uns? Waren da die Hippies nicht schon mal weiter?" Christian L.
Da stellt sich doch zunaechst die Frage, was war zuerst da: Das Bett oder der Besitzanspruch? Werden nicht Besitzansprueche von vornherein geplant, auch ohne dass es evtl. vom Bett Sensationen zu berichten gibt?
Schauen wir einmal, was wir von den Hippies lernen koennen. (Quellen: meist wikipedia.org, oldhippie.de)
Der Kern der Hippiephilosophie ist totaler, freiheitlicher, pazifistisch-sozialer, toleranter Individualismus. Innerhalb dieser Philosophie sind anarchische Denkweisen ebenso möglich wie naturreligiöse. Die Weltanschauung und der Kleidungsstil wie auch die Lebensweise sind dem Einzelnen selbst überlassen. Heut zu Tage gibt es in vielen, besonders größeren Städten der westlichen Welt wieder Hippies.
Ihre "Freie Liebe" und "Freie Sexualitaet" ("Wer zweimal mit demselben pennt, gehört schon zum Establishment") grenzen sich damit deutlich vom fast schon biederen mehrpartnerschaftlichen Gedanken der Polyamorie ab.
Geschichtlich gibt es eine Entwicklung von ursprünglich eher Freie Sexualität zu heute eher Freie Liebe.
In Deutschland wird Freie Liebe stärker von Freier Sexualität getrennt, um die es in der Vergangenheit eigentlich gegangen sei und die in der Regel wieder zum Rückfall in überwunden geglaubte Kleinfamilienstrukturen geführt habe. Zwar hat Freie Liebe eine freiheitliche Sexualität zur Folge, aber es geht immer um den ganzen Menschen, nicht ausschließlich um die Lustbefriedigung, und insoweit um die persönliche und spirituelle Weiterentwicklung. So wird die einseitige Reduzierung auf Sexualität kritisiert, Liebe - freie wie "konventionelle" - umfasse weitaus mehr, und Liebe könne auch ohne jede Art von Sexualität stattfinden.
Bereits der Frühsozialist Charles Fourier (1772 - 1836) propagierte Gemeinschaften (Phalanstères), in denen [2000-3000] Menschen gemeinsam leben und arbeiten sollten, unter anderem motiviert und zusammengehalten durch die freie Liebe. Über die Gemeinschaften hinaus bedeutet Freie Liebe im Sinne Fouriers bedeutet jedoch auch die uneingeschränkte Entscheidung für jede Art von Partnerschaft und schließt damit auch Zweierbeziehungen usw. ein.
PRO Die Freie Liebe definiert Liebe und Sexualität als natürliche seelische und körperliche Bedürfnisse, die frei von gesellschaftlichem Druck und Zwängen gelebt werden sollen. Dazu gehört, dass Beziehungen ausschließlich und partnerschaftlich von den an ihnen Beteiligten definiert werden und ansonsten keinen Vorgaben unterliegen, was etwa die Dauer, die Anzahl der Beteiligten und die Stärke betrifft. Herkömmliche Liebeskonzepte wie die Ehe werden als besitzergreifend, ökonomisch begründet und unfrei kritisiert. So ist die Entkoppelung der Sexualität als Lust- und Triebgeschehen von ihrer Funktion der Fortpflanzung einerseits und von ihrer Anbindung an vorgegebene Institutionen wie die Ehe andererseits im Zusammenhang mit Sexueller Revolution und Sexwelle zu sehen.
Befürworter des Konzepts Freier Liebe führen an, sie hätten die Spontaneität menschlicher Liebe und Sexualität endlich von den Zwängen einer bürgerlich und religiös definierten Ehe und Moral befreit. Liebe sei das, was Spaß mache und Lust bereite, unabhängig von den dabei angewandten Mitteln und Wegen der sexuellen Bedürfnisbefriedigung.
CONTRA Von Anthropologen wird eingewandt, dass die menschliche Freiheit nicht unbegrenzt sei und auch die menschliche Sexualität eine Zielbestimmtheit (Finalität) aufweise, die nicht willkürlich umdefiniert werden könne. Freie Liebe mache die Person des Sexualpartners zum Objekt der Befriedigung, was der menschlichen Würde widerspreche. Die Kehrseite der in der so genannten "Freien Liebe" intendierten Auflösung der Kleinfamilien seien zerrüttete Ehen und Familien, ohne andere Möglichkeiten eines solidarischen Miteinander zu finden.
Als immanente Kritik der Freien Liebe wird angeführt, dass entweder unmittelbar bei ihrem Vollzug oder erst im Nachhinein eine Ernüchterung (Desillusionierung) eintreten kann. Die rein sinnlichen Werte im Sinn des Hedonismus werden dabei als ungenügend für das eigene Leben empfunden. Das Resultat kann entweder der völlige Absturz in den Nihilismus oder die Verzweiflung sein oder aber auch eine Zuwendung zu personalen Werten und sinnstiftenden Elementen, wie der Ästhetik, dem selbstlosen Einsatz für die Mitmenschen und der Religion.
Werfen wir noch einen Blick auf weitere Besonderheiten und Grenzen der Hippie-Kultur:
Der Hippie-Trail nach Asien
Philosophie, Kleidung, Denkweise und Haarlänge waren bei ihnen ebenso genormt wie bei jeder anderen sozialen Gruppe auch.
Im permanenten Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Integration in die Gesellschaft und der Abneigung gegen die Vereinnahmung durch das System lebend, entwickelte sich in den Guesthouses des India-overland-trails eine Subkultur, die sich ihre eigenen Normen und Richtlinien zurechtzimmerte. Soziologisch gesehen bestanden die Hippies im wesentlichen aus mitteleuropäischen und nordamerikanischen Mittelstandskindern zwischen 18 und 28, aus Auswanderern und Aussteigern, Lebenskünstlern und Bohémiens, Gammlern, Studenten, Expatriates, Drogensüchtigen und Drogendealern sowie Vagabunden und Clochards.
Kommunen Die meisten dieser Kommunen fußen auf den gleichen Grundsätzen:
* Gemeinsame Ökonomie Dabei geht es um die teilweise bis völlige Aufgabe von Privateigentum zu Gunsten von Gemeinschaftseigentum (teilweise bzw. vollständige gemeinsame Ökonomie), weswegen der in diesem Zusammenhang oft gebrauchte Begriff der "gemeinsamen Kasse" daher zu kurz greift: Die gemeinsame Kasse ist nur ein organisatorisches Hilfsmittel zu Umsetzung dieses Grundsatzes - alle Einnahmen (Verkaufsgewinne, Honorare, Geschenke, Erbschaften, usw.) gehen in die Kasse.
* Konsensprinzip
* keine Hierarchie
* ökologisches Leben (In den Stadtkommunen spielt das Thema Ökologie meist eine weniger bedeutsame Rolle.)
Zum Thema Kommunen ein Text von Wolfgang F. Lightmaster aus www.oldhippie.de:
KOMMUNEN - WOHNGEMEINSCHAFTEN
Ende der 1960er bekam der Begriff Kommune (= Gemeinde) auch die Bedeutung für eine Zusammenlebensgemeinschaft von Einzelpersonen und/oder Paaren. Begonnen hat das an den Unis wegen Wohnraumknappheit und bei gleichen politischen Zielen. Deswegen hießen auch die Bewohner einer Kommune Kommunarden. "Wenn man schon gleich drauf ist, dann kann man ja auch zusammen wohnen, ... und es kommt billiger." Zudem waren größere Wohnungen leichter anzumieten. Da hat man ein Paar (möglichst mit Trauschein) vorgeschickt zum Anmieten und dann waren zur Überraschung des Vermieters plötzlich 10 Leute in der Bude. Als Einzelperson eine Wohnung zu mieten war bei Wohnraumknappheit und geringen Geldmitteln schier unmöglich. ... und die Moral?! Wohnungssuche allein in dieser Zeit, zudem mit Bart und langen Haaren (üblich, aber für die Bürgerlichkeit unvorstellbar) war ein Abenteuer. Man erfuhr und lernte alles über Diskriminierung, ein prägendes Abenteuer, das alleine schon politisiert hat. Daraus resultierte dann später u.a. auch die Hausbesetzerzeit. In Kommunen wurde Politik betrieben, von "stammtischmäßig" bis hin zu großen Aktionen und Parteigründungen (Grüne). Kommunen waren ein Abbild des Lebens in allen seinen zwischenmenschlichen Facetten. Ein soziologisches Abenteuer. Von "Wer geht einkaufen? Wer räumt mal wieder den Siff weg?" bis hin zu Aufnahmeritualen und wöchentlichen Rechenschaftsberichten gab es alles. Hier wurde Politik gemacht. Das sollte das Leben in der Zukunft zeigen, wenn auch nicht ganz so wie erträumt, angedacht, sich engagiert, geredet, gekämpft und ..... einige sind aus Frust losgegangen und haben die RAF gegründet.
Wohngemeinschaften - same, same but different - das gleiche, nur mit weniger politischem Hintergrund, aber mit gleichen Erfahrungen bei ähnlicher Lebenseinstellung. Die ersten WGs wurden von Hippies und Bands z.B. Grateful Dead) gegründet. Hat sich schnell bei Studenten, im 2. Bildungsweg, Schülern und später sogar bei Senioren etabliert als mögliche Form des Zusammenlebens bei geringeren Kosten und zwischenmenschlicher Nähe und Erfahrung.
In Kommunen und WGs war immer was los. Leute sind gekommen und gegangen, man reiste viel mit wenig Geld, in jeder Stadt gab es Kneipen, in denen man nach einer WG zum Pennen fragen konnte, damit war alles klar für die Nacht, und da waren neue Leute zum kennen lernen. War u.a. auch wie eine Infrastruktur fürs Reisen/Trampen. Da war man mal zwei Monate auf Reisen, kam zurück nach Hause ... und da kannte man keinen mehr, völlig andere Leute wohnten plötzlich da. Alle alten Mitbewohner waren ausgezogen, neue eingezogen.
Und es gab auch viele WGs, da wurde durcheinandergevögelt, hieß, mann/frau machte die ultimativen Erfahrungen von Eifersucht, Toleranz, Akzeptanz, Dominanz etc. War wiederum eine prägende Erfahrung. Eine Anmerkung: Das gibt es alles immer noch.
Die berühmteste war die Kommune K1 in Berlin, gegründet Anfang Januar 1967 von Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann und U. Enzensberger. Die zelebrierten sich öffentlich und spielten auch politisch gut mit. Rainer Langhans kam im April dazu. Ach ja, die Uschi Obermaier ("Die Uschi mit ihrer berühmten Muschi") als Freundin von Langhans war auch da. Der Rainer hat den Trip irgendwie ultimativ hinbekommen über die Jahre, der hat jetzt 5 Frauen, müsste über die 60 sein, schaut aus wie 35 ... und hat das alles gut erlebt und überlebt. Wer da keine Erfahrung mit einer Beziehung zu mindestens zwei Frauen gleichzeitig hat, der sollte da wirklich nicht mitreden, sondern eigentlich nur staunen.
Es gab auch Landkommunen, Land-WGs: Da waren und sind die Öko Freaks auf dem Weg zurück zur Natur, auch eine wirklich intensive Erfahrung. Davon gab und gibt es viele, wobei manche versuchen autarke Lebensformen zu leben.
Wer nicht die intensive Lebenserfahrung von Wohngemeinschaften und des Umfeldes gemacht hat, dem fehlt irgendwie etwas wichtiges an Lebenserfahrung. Diese Lebenserfahrung kann ansonsten vielleicht nur noch in kleinen Abenteuergruppen bei wirklichen Abenteuern erlebt werden. Aber wo gibt es noch wirkliche Abenteuer? ;-)
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