Polyamorie

Polyamorie – von griech. πολύς, polýs, „viel, mehrere“ und lat. amor, „Liebe“ – ist ein Oberbegriff für die Praxis, Liebesbeziehungen zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit zu haben, mit vollem Wissen und Einverständnis aller beteiligten Partner.

Die angestrebten Beziehungen sind langfristig und vertrauensvoll angelegt und schließen normalerweise (aber nicht unbedingt) Verliebtheit und Teilen von Zärtlichkeit und Sexualität mit ein. Polyamorie faßt den Begriff der Liebe also weiter als bei der romantischen Zweierbeziehung. Menschen, die solche Beziehungen bevorzugen oder führen, werden als „polyamor“ oder „polyamorös“ bezeichnet.

Politisch stellt die polyamore Subkultur die Vorstellung in Frage, dass Zweierbeziehungen die einzig erstrebenswerte oder mögliche Form des Zusammenlebens darstellen (Mono-Normativität), und bejaht, dass ein Mensch mit mehreren anderen Personen zur gleichen Zeit Liebesbeziehungen haben kann.

Polyamorie definiert sich über die emotionale Seite von Liebesbeziehungen; Ihr liegt die Idee zugrunde, dass Liebe, auch solche romantischer Färbung, nichts ist, das auf einzelne Personen eingeschränkt werden müsse. Polyamore Beziehungen erfordern erheblich mehr Aufmerksamkeit, Energie, und Kommunikation als emotional und sexuell ausschließliche Beziehungen, und bieten den Beteiligten weniger Sicherheiten, haben für die Menschen, die sie führen, jedoch ausgleichende Vorteile. Eifersucht stelllt aus dieser Sicht eine Herausforderung dar, die durch Mut, Verständnis und Vertrauen der Partner, und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit ihr gemeistert werden kann. Polyamore Beziehungen haben viele mögliche Konstellationen mit spezifischen Bezeichnungen, zum Beispiel bezeichnet ‚Triade‘ eine wechselseitige Liebesbeziehung zwischen drei Personen.

 

Begriffsabgrenzung zwischen Polyamorie und „Freie Liebe“

Der Begriff „Freie Liebe“ wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Beschreibung einer sozialen Bewegung geprägt, die staatliche und kirchliche Einmischung in persönlichen Beziehungen zurückwies. Diese Idee hat eine lange Tradition, die in Mitteleuropa bis auf die christlichen Gemeinschaften der Adamiten und Dissenter zurückgeht. In den 1960er Jahren (sexuelle Revolution) wurde die "freie Liebe" popularisiert und teilweise als neue Norm vertreten, die promiskes Verhalten propagierte. Ziel war das Aufbrechen sexueller Normen und Schaffen neuer Beziehungsformen.

Inzwischen hat sich ein weitgehend anerkannter Maßstab herausgebildet, um Polyamorie vom alten, häufig normativ gebrauchten Begriff der „Freien Liebe“, wie er in den 1970er Jahren verstanden wurde, abzugrenzen. Polyamore Beziehungen benötigen grundsätzlich das Einvernehmen aller Beteiligten; der sexuellen Selbstbestimmung wird höchste Priorität eingeräumt. Das setzt voraus, dass alle Beteiligten umfassend informiert sind, Transparenz sichergestellt ist, und ein gleichwertiger Umgang zwischen ihnen besteht. Monogame Beziehungsformen werden als gleichwertige Entscheidung behandelt. Außerdem wird dem Umgang mit Emotionen, wie Eifersucht, eine weitaus größere Beachtung geschenkt als dies in den 1970ern der Fall war.

 

Allgemeines

Menschen, die sich als polyamor oder polyamorös bezeichnen, haben die Bereitschaft, Liebesbeziehungen und enge Freundschaften mit mehreren Menschen zu führen, da für sie diese Beziehungsform ein Ideal darstellt. Sie stellen die Vorstellung in Frage, dass die Zweierbeziehung oder Ehe die einzige erstrebenswerte Form des Zusammenlebens sei. Die Liebe ist nach ihrer Auffassung kein endliches oder limitiertes Gut, das immer nur für die Liebe zu einer einzigen Person ausreicht, sondern gegenüber mehreren Menschen in einer ganz individuellen Ausprägung in Erscheinung treten kann.

Polyamorie definiert sich dabei über die emotionale Seite der Liebesbeziehungen. Es steht also nicht das Erleben von Sexualität im Mittelpunkt, das allerdings – wie in jeder Liebesbeziehung – durchaus eine wesentliche Rolle spielen kann und darf. Als Bedingungen für polyamouröse Beziehungen werden vielfach größtmögliche Ehrlichkeit zwischen den Beteiligten und gegenseitiges Einverständnis genannt. Deshalb gibt es im Konzept der Polyamorie keine zu verheimlichenden Liebhaberinnen und Liebhaber. Den Menschen, die man mag, soll mit dem sich aus dem individuellen Verhältnis erwachsenden Maß an Zuneigung und Intimität begegnet werden können. Es braucht nicht geleugnet zu werden, falls man für mehr als einen Menschen Gefühle empfindet. Eifersucht und Verlustängste treten auch bei Menschen, die diese Beziehungsform gewählt haben, oft auf, und sollten offen ausgesprochen werden. Eifersucht stellt in der Tat bei langfristig bestehenden Beziehungen oft die bedeutendste Hürde dar. Zufolge dem Konzept er Polyamorie soll jedoch vermieden werden, dass diese Gefühle das Handeln bestimmen, da sie sonst zerstörerisch auf Beziehungen wirken könnten.

Da Polyamorie im Gegensatz zur Monogamie keinen Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber dem Partner vertritt, besteht keine Notwendigkeit, eine Beziehung zu beenden, wenn der Partner parallel weitere Beziehungen eingeht. Akute Verliebtheit wird trotz der schönen Gefühle manchmal als mit Vorsicht zu genießender Zustand gesehen. Sie mache es schwerer, die Bedürfnisse aller Partner auszugleichen und berge die Gefahr von kurzschlüssigen Entscheidungen, deren Konsequenzen langfristig bedauert würden.

Polyamore Beziehungen können einen erheblichen emotionalen Stress bedeuten, falls es Konflikte zwischen den Partnern gibt oder Eifersuchtsgefühle aufkommen. Das nötige Abgrenzungsvermögen sowie die Aufrichtigkeit und Selbstkenntnis, die solche Situationen verlangen, bringen nicht alle Personen auf, die mit nichtmonogamen Beziehungen experimentieren. Zusätzliche Beziehungen haben zudem die Tendenz, Unsicherheiten und ungeklärte Konflikte in einer Partnerschaft ans Licht zu bringen, auch wenn diese schon lange besteht. Um sich z.B. vor einem Ausspannen von Partnern, oder Beziehungskonflikten in ungünstigen Lebensphasen, zu schützen, handeln langfristige Partner häufig vorher ein gegenseitiges, im Umfang begrenztes Vetorecht in Bezug auf neue Beziehungen aus.

Die Mehrzahl betrachtet ihre Präferenz als Folge ihrer individuellen „Verdrahtung“. Viele Menschen, die in Mehrfachbeziehungen leben, haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass monogame Beziehungen für sie nicht funktionieren oder sie darin nicht glücklich werden. Dies wird aber in der Regel nicht zum Anlass genommen, Monogamie als individuelle Wahl abzuwerten. Hinterfragt wird jedoch die Monogamie als gesellschaftliche Norm (Heteronormativität bzw. Mononormativität) und die nach Überzeugung polyamor-denkender Menschen oft damit verbundene Doppelmoral.

 

Umgang mit Eifersucht

Eifersucht, gilt als das wohl größte Hindernis in polyamoren Beziehungen. Ihre Meisterung bietet jedoch auch Chancen der persönlichen Entwicklung, so dass sie gleichermaßen als "Torhüter" beschrieben wurde. Analog zum Spruch "Courage ist nicht die Abwesenheit von Angst, sondern die Feststellung, dass etwas anderes wichtiger ist als Angst", ist jedoch in polyamoren Beziehungen weniger die Abwesenheit von Eifersucht wichtig, als die Bereitschaft zur Begegnung mit ihr. Andererseits kann Eifersucht auch lange verdrängt werden und unerkannt bleiben, auch wenn ihre Vermeidung einen erheblichen Teil des Denkens und Handelns bestimmt. Da in der monogamen Kultur Eifersucht oft "wie die Pest" gemieden wird, kann andererseits bei manchen Menschen auch Angst vor Eifersucht die größere Schwierigkeit darstellen als die Eifersucht selber.

Polyamore Menschen beschreiben Eifersucht oft als eine Mischung aus verschiedenen Gefühlen und Gedanken, wie Wut, die Kontrolle über den Partner zu verlieren; Angst, seine Liebe zu verlieren, verlassen zu werden, oder unwichtig zu werden; Scham über eine empfundene Abwertung; Trauer über verlorene Gewissheiten; und ähnliche. Oft überlagern sich verschiedene Gefühle. Eifersucht gilt in der Polyamorie zumeist weder als ein Zeichen von Liebe, noch als Betrug oder Charakterschwäche, wenn auch besitzergreifendes Verhalten von polyamoren Personen meist nicht toleriert wird. Idealerweise würde der Partner einer eifersüchtigen Person diese liebevoll, akzeptierend und begleitend behandeln.

Grundlegend für einen Umgang mit Eifersucht ist, dass jeder Mensch selber für seine eigenen Gefühle und Gedanken verantwortlich ist. Zu trennen ist hier zwischen Wahrnehmung und Ausdruck von Eifersucht als Gefühl, und eifersüchtigem Verhalten wie Vorwürfen oder dem Stellen von Ultimaten, welches sich schnell zerstörerisch auf die Beziehung auswirken kann. Ein Verschweigen von potenziell eifersuchtsauslösenden Situationen durch den Partner wäre dagegen grenzüberschreitend und längerfristig zerstörerisch für eine gute Beziehung. Andererseits liegt es durchaus in der Hand des oder der Partner, bestimmte Auslöser zu vermeiden. Dies kann zum Beispiel den Umgang mit Gegenständen oder Ritualen bedeuten, die einen Symbolwert für Beständigkeit und Stellenwert der als "bedroht" erlebten Beziehung haben.

Es haben sich verschiedene Strategien zum Umgang mit Eifersucht bewährt. Eine ist, die Angst oder Eifersucht auslösende Situationen zu hinterfragen, sich konkrete Szenarien vorzustellen, und ihre Realität und Irrealität zu vergegenwärtigen. Da Eifersucht, wie alle Gefühle, auch eine positive Schutzfunktion haben kann, und auf unerfüllte Bedürfnisse hinweist, kann es durchaus vorkommen, dass eifersüchtige Gefühle auf reale Schwierigkeiten in der Beziehung hinweisen, die mit dem Partner besprochen und geklärt werden sollten. Hier zeigt sich erneut die Wichtigkeit von guter Kommunikation und Ehrlichkeit, die den Aufbau eines dauerhaften Vertrauens in die Stabilität der Beziehung ermöglichen.

So kann es insbesondere bei schon lange bestehenden Partnerschaften sinnvoll sein, wenn die Eifersucht erlebende Person in einer Beziehung das Tempo bestimmen darf, nicht diejenige, die einen neuen Partner hat.

Autorinnen wie Celeste West weisen ferner darauf hin, daß es negative Folgen für die seelische Gesundheit haben kann, für längere Zeit das Ziel von verletzend eifersüchtigem Verhalten zu sein, auch wenn keine physische Gefährdung besteht.

 

Formen, Benennungen und Beziehungskonstellationen

Häufig gibt es eine Hauptbeziehung (engl. „primary relationship“) oder Partnerschaft zwischen zwei (oder mehr) Partnern, die zusammen leben, wobei aber jeder der Partner nebenher noch weniger intensive oder enge Liebschaften oder Geliebte (engl. „secondary relationships“) hat, etwa entsprechend nicht zusammen wohnenden Paaren. Zusätzlich können noch „tertiary relationships“ hinzukommen, zum Beispiel erweiterte, Sexualität beinhaltende Freundschaften („Friends with benefits, intimate friendships“) mit Personen, welche häufig weiter enfernt wohnen. Ein Teil der Menschen, die Polyamorie praktizieren, lehnt aber das Konzept einer Hierarchie von Beziehungspartnern eher ab, da es den individuellen Personen nicht gerecht werden könne.

Liegt der Schwerpunkt auf der sexuellen Nicht-Ausschließlichkeit, wird dies oft als „Offene Ehe“ oder „Offene Beziehung“ bezeichnet. Sofern vereinbart wird, keine Liebesbeziehungen außerhalb der Hauptbeziehung entstehen zu lassen, liegt genau genommen keine Praxis von Polyamorie vor.

Es kann auch vorkommen, dass eine Gruppe von Menschen ein exklusives Netzwerk bildet, dessen Mitglieder jeweils nur untereinander emotionale und sexuelle Beziehungen haben Dies wird oft „Polyfidelity“ genannt, dieser Begriff bezeichnet manchmal jedoch auch Polyamorie im Allgemeinen. Auch verbindliche Partnerschaften zwischen mehr als zwei Menschen (Group Marriages), Beziehungsnetzwerke von Menschen, die nicht mit jemandem zusammen leben (Intimate Networks), bis hin zu „erweiterten Freundschaften“, welche Sexualität als zusätzliche Option beinhalten, kommen vor. Schließlich gibt es den Begriff Stamm oder Clan, bei denen die Beziehungspartner erweiterten Lebensgemeinschaften, beispielsweise Kommunen angehören.

Weiterhin gibt es mono-polyamore Beziehungen, in denen von zwei Partnern einer mehrere Beziehungen hat, während der andere den weiteren Beziehungen des ersten zustimmt, selber aber keine zusätzliche Beziehung möchte. Solche „1:N-Beziehungen“, in denen ein Teil eines Paares sich monogam verhält, und der andere mehrere Beziehungen hat, können durchaus glücklich sein. Zur Unterscheidung wird gelegentlich die Beziehung zweier Menschen, die wechselseitige Monogamie vereinbaren, als Eins-zu-Eins Beziehung bezeichnet.

Beziehungen zwischen Menschen, die Polyamorie leben möchten, und solchen, die einen monogamen Partner wünschen, sind dagegen im allgemeinen sehr konfliktträchtig, und werden vermieden, denn Versuche, die eigene Orientierung, oder diejenige des Partners zu polyamoren oder monogamen Beziehungen beeinflussen zu wollen, schlagen in aller Regel fehl. Nur eine geringe Zahl von polyamoren Menschen, die sich dessen meist wohl bewusst ist, ist tatsächlich in der Lage, wahlweise sowohl in mehrfachen, als auch in ausschließlichen Beziehungen gleich glücklich zu leben, und die Bereitschaft polyamorer Individuen, sich auf experimentelle Beziehungen zu Personen einzulassen, deren Orientierung und Bedürfnisse unsicher sind, variiert stark.

Für die Stellung von einzelnen Personen zueinander haben sich, besonders in englischsprachigen elektronischen Medien, bestimmte „geometrische“ Bezeichnungen eingebürgert. Dabei wird als „V (engl. Vee)“ bezeichnet, wenn eine Person zu zwei anderen eine enge Beziehung hat. Ebenso gibt es „N“, „Z“, und „W“. Als „Triade“ wird bezeichnet, wenn drei Menschen untereinander eine enge Beziehung haben, was nur selten vorkommt, und als „Quad“ eine Partnerschaft oder Gruppenehe von vier Personen. Eine Paarbeziehung zwischen zwei Personen wird „Dyade“ genannt. Viele solcher Beziehungen sind sehr langlebig, wenn sie eine gewisse Vertrautheit und Stabilität einmal erreicht haben. Auch liebevolle Beziehungen, die keine Sexualität beinhalten – zum Beispiel weil diese die Vereinbarungen bestehender Beziehungen verletzen würde – können gegebenenfalls als polyamor bezeichnet werden. Jede Konstellation hat ihre eigene Struktur und Dynamik, die sehr komplex sein kann. Zum Beispiel haben Quads, die aus zwei Dyaden gebildet werden, häufig die Tendenz, eine Person abzuspalten und eine Triade zu bilden.

 

Die polyamore Subkultur

Allgemeines

Ein relativ hoher Anteil der Angehörigen dieser Subkultur ist bisexuell orientiert, es sind jedoch alle sexuellen Orientierungen vertreten.

 

Kinder in polyamoren Familien

Oft wird befürchtet, dass nicht-ausschließliche Beziehungen negative Folgen für Kinder haben könnten. Die Praxis zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist, sofern die Bezugspersonen in einer stabilen Partnerschaft leben. Bei Teenagern in der Phase der Identitätsfindung kann eine nichtmonogame Beziehungsform der Eltern Unsicherheit und Ablehnung auslösen; kleinere Kinder profitieren oft von den zusätzlichen Bezugspersonen. Bei Heranwachsenden aus solchen Familien kommt es sowohl vor, dass sie nicht-ausschließliche Beziehungen als zusätzliche Option betrachten, als auch, dass sie eher traditionelle Lebensentwürfe wählen und sich damit von ihren Eltern abgrenzen. Gelegentlich wird berichtet, dass Kinder weniger oder gar keine Eifersucht zeigen, was die Hypothese stützt, dass Eifersucht eine (wenn auch tief verwurzelte) kulturelle Norm darstellt.

 

Symbole

Die Flagge (und in ähnlicher Form auch die Schleife) zeigt von oben nach unten drei gleichgroße Balken in blau, rot und schwarz, mit folgender Symbolik: Blau steht für Offenheit und Ehrlichkeit zwischen den Partnern in einer Poly-Beziehung, rot steht für Liebe und Leidenschaft, schwarz zeigt Solidarität mit jenen Menschen, die polyamor empfinden, es aber aufgrund von sozialem Druck nicht leben können.

 

Entwicklung angepasster Begriffe

Compersion ("Resonanzfreude") bezeichnet eine Manifestation von Liebe, wenn jemand im Geliebtwerden eines geliebten Menschen durch eine andere Person Glück und Erweiterung findet und sich daran freut, und stellt somit den Gegenpol zur Eifersucht dar. Sie ist eine Form von Empathie, das heißt, Freude daran, dass der nahestehende Mensch etwas Schönes in seinem Leben erfährt.

Das Adjektiv frubbly (deutsch manchmal: frubbelig) wurde als Ausdruck für das Gefühl von Compersion geprägt. Entsprechend nennen im deutschsprachigen Raum manche polyamore Menschen die Partner ihrer Partner "Frubbel", daneben existiert auch der Begriff der "Metamour".

 

Werte in der Polyamorie

Polyamorie wird durch eine Reihe von Werten gekennzeichnet, die einen besonderen Stellenwert haben. (...) haben sich jedoch vor allem deswegen als wichtig herausgebildet, weil sie, konsequent angewandt, zu praktischen Handlungsweisen führen, die authentische und dauerhafte Beziehungen fördern. Allerdings beinhalten sie häufig auch die Tendenz, unstimmige Beziehungen schneller zu beenden.

  • Ehrlichkeit und Respekt
    Menschen, die Polyamorie praktizieren, betonen die Wichtigkeit von Ehrlichkeit und Selbst-Offenbarung gegenüber allen Partnern, die als eines der wesentlichen Prinzipien gilt. Von einem Verschweigen von Tatsachen – selbst eine „schweigende Vereinbarung“ der Form „Mach, was Du möchtest, solange ich nichts erfahre“ – wird nachdrücklich abgeraten. Diesem liege meistens die Vorstellung zugrunde, dass Partner die Wahrheit nicht ertragen können oder ihren Geliebten nicht zutrauen, Abmachungen einzuhalten. Der oder die Geliebte eines Partners sollte als Bestandteil des Lebens dieses Partners akzeptiert werden, nicht bloß toleriert.
  • Es muss aber betont werden, dass diese Ehrlichkeit im Detail, welche eine Ehrlichkeit über die polyamore Beziehungsorientierung voraussetzt, vielen polyamoren Menschen nicht gleichsam "in die Wiege gelegt wurde", sondern oft Produkt eines mühsamen Entfaltungs- Entwicklungs- und Lernprozesses ist, der zu dem Schluss führt, dass nichtmonogame Beziehungen anders nicht funktionieren. Dieser ist nicht unähnlich dem „Coming Out“ von bisexuellen Menschen, und beinhaltet unter anderem, das Selbstvertrauen zu gewinnen, mit der offen gelebten eigenen Orientierung - ob mit oder ohne passende Partner- glücklich werden zu können.

    Im Unterschied zu – meist unausgesprochenen – traditionellen Verhaltensnormen, in denen bestimmte Dinge oft ‚dem Partner zuliebe‘ nicht ausgesprochen werden, erstreckt sich diese Priorität von Ehrlichkeit auch auf Sachverhalte, die beim Partner erhebliche seelische Schmerzen, Ängste und Eifersucht auslösen können. Dauerhafte und authentische Beziehungen setzen damit die Bereitschaft der Partner voraus, sich den eigenen schmerzhaften Gefühlen zu stellen.

  • Treue
    In polyamoren Beziehungen wird unter Treue hingegen Ehrlichkeit, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Wohlwollen in Bezug auf die Beziehung verstanden, sowie die Einhaltung von Absprachen innerhalb dieser Beziehung. Generell werden dauerhafte Beziehungen angestrebt, was bei Schwierigkeiten wie Konflikten oder Aufkommen von Eifersucht oft ein sehr hohes Engagement verlangt. Allerdings werden auch promiske Verhaltensweisen im Allgemeinen toleriert, solange dies in ehrlicher Weise geschieht.
     
  • Kommunikation und Verhandlung
    Weil es keine „Standardausführung“ von polyamoren Beziehungen gibt, werden die Beteiligten einer Beziehung meist unterschiedliche Vorstellungen haben, wie diese Beziehung aussehen soll. Wenn solche unterschiedlichen Erwartungen nicht angesprochen werden, kann dies der Beziehung schweren Schaden zufügen. Deswegen befürworten viele Menschen, die Polyamorie praktizieren, die Regeln der Beziehung mit allen Beteiligten gemeinsam festzulegen, ein Prozess, welcher ein hohes Maß an engagierter Kommunikation verlangt. Im Unterschied zu manchen anderen Formen ausgehandelter Beziehungen (wie Eheverträge) sehen Personen, die Polyamorie praktizieren, diese Verhandlung als Prozess, der die gesamte Lebensdauer einer Beziehung andauert. Dieser Prozeß benötigt von allen beteiligten Partnern eine hohe Bewußtheit ihrer eigenen Bedürfnisse und die Ausbildung der Fähigkeit, diese zu kommunizieren.
  • In konventionelleren Beziehungen können sich die Beteiligten zu einem gemeinsamen Paket von Erwartungen einigen, ohne diese bewusst zu verhandeln, einfach indem gesellschaftliche Normen befolgt und als schweigende Vereinbarung übernommen werden. Da polyamore Beziehungen nicht von solchen „vordefinierten“ Normen ausgehen können, muss innerhalb der Beziehung sehr viel mehr bewusst verhandelt und gewählt werden, auf dem Weg von miteinander Reden und gegenseitigem Respekt und Verständnis, anstelle von angenommenen Erwartungen.

  • Nicht besitzergreifendes Verhalten
    Menschen in konventionellen Beziehungen vereinbaren oft, unter keinen Umständen andere Beziehungen einzugehen, da diese ihre bestehende Beziehung bedrohen, verwässern oder ersetzen würden. Polyamore Menschen glauben, dass solche Beschränkungen unter Umständen schädlich für eine Beziehung sein können, da sie die Tendenz haben, Vertrauen durch besitzergreifende Verbote zu ersetzen und Beziehungen in einen Rahmen aus Besitz und Kontrolle bringen: „Du bist mein“. Dies spiegelt kulturelle Annahmen wider, dass Beschränkungen nötig seien, um Partner daran zu hindern, sich aus der Beziehung zu entfernen, und dass zusätzliche nahe Beziehungen die Bindung gefährden würden. Zum Teil liegt der Sinn dieser Beschränkungen auch darin, das als gefährlich oder nicht erträglich empfundene Gefühl von Eifersucht zu vermeiden.
  • Polyamore Menschen neigen dazu, die Liebesbeziehungen ihrer Partner eher als Bereicherung des Lebens ihrer Partner zu sehen denn als Bedrohung ihres eigenen. Das geflügelte Wort „Wenn du etwas liebst, lass es frei. Kommt es zu dir zurück hast du es nicht verloren. Kehrt es nicht zu dir zurück so hast du es nie besessen“ beschreibt eine ähnliche Haltung. Aus diesem Grund sehen viele Menschen, die Polyamorie praktizieren, eine besitzergreifende Einstellung zu Beziehungen als etwas, das vermieden werden sollte. Dies verlangt ein hohes Maß an Vertrauen und Selbstvertrauen. Interessanterweise kann gerade das Nicht-Vermeiden von Eifersucht den Weg zu solchem Selbstvertrauen aufzeigen.

    Obwohl eine nicht-besitzergreifende Haltung ein wichtiger Bestandteil vieler polyamorer Beziehungen ist, ist sie nicht so universell wie die anderen oben diskutierten Werte. Beziehungen können beispielsweise in ihrer Priorität abgestuft sein, mit Vetorechten des Lebenspartners, oder auch in Bezug auf Ausschließlichkeit und „Besitz“ am anderen asymmetrisch sein.

  • Commitment (Hingabe und Verbindlichkeit)
    Bedeutet soviel wie „Engagement“, „Festlegung“ oder „Hingabe“ im Sinne von innengeleitete Verbindlichkeit, ein Wert, der etwa die Stelle der traditionellen Treue einnimmt. Polyamorie umfasst den Gedanken, eine bestehende Beziehung nicht zugunsten einer neu entstehenden zusätzlichen Beziehung aufzugeben oder ihr die Ressourcen, die sie zum Bestehen braucht (Zeit, Aufmerksamkeit, Hingabe), zu entziehen.
  • Wesentlich ist, dass Commitment nie von einem der Partner stillschweigend angenommen werden darf, sondern Ergebnis eines gegenseitigen Abstimmungs- und Klärungsprozesses sein muss, bei dem alle offenen Fragen und Konflikte, welche die Beziehung gefährden könnten, geklärt werden.


    Verhältnis der Werte in den Konzepten von Polyamorie und Monogamie
    Wie aus dieser Aufstellung häufiger Werte in polyamoren Beziehungen hervorgeht, stellen diese weniger einen Gegensatz zu den Werten „monoamorer“ Beziehungen dar, sondern eher eine veränderte Priorität von Werten, die auf den menschlichen Grundbedürfnissen von Verbundenheit und Freiheit basieren. Auch wenn manche monogame Beziehungen auf bloßem Konformismus oder besitzergreifendem Denken basieren, betrachten sie dies genauso wenig als ein notwendiges Merkmal von monogamen Beziehungen, wie sie Bindungsunfähigkeit als ein Charakteristikum von Polyamorie anerkennen würden.

    Menschen, die Polyamorie praktizieren, lehnen demgegenüber heimliches Fremdgehen meist scharf ab, da es einen schweren Eingriff in die Freiheit des anderen darstelle, anhand der Tatsachen über seine Beziehung zu entscheiden. Eine länger bestehende heimliche Dreiecksbeziehung in eine polyamore umzuwandeln, gelingt in der Praxis nur in den seltensten Fällen, da das für die notwendige Kommunikation unabdingbare Vertrauen in der Primärbeziehung meist zu schwer beschädigt wird.

     

    Polyamorie und Gesellschaft

    Gleichstellung polyamorer Lebensformen

    Polyamore Lebensformen sind gesellschaftlich wenig anerkannt, oft wird ihre Möglichkeit in Frage gestellt. Als Mono-Normativität wird die Sichtweise bezeichnet, dass monogame, langfristige Zweierbeziehungen die einzige mögliche und erstrebenswerte Weise seien, Beziehungen zu führen. Diese ist in europäischen und angelsächsischen Kulturen tief verankert in kulturellen Symbolen, Mythen und Geschichten. Ältere Mythen zeugen davon, dass dies nicht zu allen Zeiten und in allen Kulturen so war.

    Anthropologische Untersuchungen zeigen, dass zwar Paarbindungen zu den Grundkonstanten menschlichen Verhaltens zählen, in der Mehrheit der menschlichen Kulturen jedoch nichtmonogame Lebensformen vorkamen; Die Formen des Zusammenlebens waren immer eng mit ökonomischen Interessen der Wahrung und Weitergabe von familären oder gemeinschaftlichem Besitz und den sonstigen sozialen Beziehungen verknüpft. Ausschließliche Zweierbeziehungen als verbindliche soziale Norm beruhen zu einem großen Teil auf Konzepten und Idealvorstellungen, welche durch Polyamorie fundamental in Frage gestellt werden. So kommen Verhaltensweisen wie Fremdgehen oder Ehebruch, trotz oft harter Strafen in allen untersuchten Gesellschaften vor, in denen ausschließliche Zweierbeziehungen als Norm gelten. Trotzdem sind Äußerungen darüber, insbesondere gegenüber Beziehungspartnern, weitgehend tabuisiert

    Diese Argumentation schreibt der staatlichen Anerkennung von Lebensformen einen viel stärkeren Einfluss zu als dem allgemeinem gesellschaftlichem Wertewandel. In der Praxis haben polyamore Menschen, neben einem Schutz vor Diskriminierung, jedoch ein geringes Interesse an einer Formalisierung und gesetzlichen Regelung ihrer vielfältigen Lebensformen.

    Aufgrund der Befürchtung, diskriminiert zu werden, entscheiden sich daher sehr viele Menschen, die polyamore Beziehungen bevorzugen oder tolerieren, dies nur innerhalb eines engen Kreises von Freunden und Verwandten bekannt zu machen. Eine Darstellung von Polyamorie als „besser“ wird in der Regel nicht angestrebt. Vielmehr wird oft betont, dass solche Beziehungsformen nur für wenige Menschen erstrebenswert sind, sehr viel Energie und konstruktive Auseinandersetzung verlangen, und in aller Regel scheitern, wenn nicht alle Beteiligten wünschen, in einer solchen Form zu leben.

    Quelle: wikipedia.org