Sträflinge

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Moses Baruch Auerbacher alias Berthold Auerbach (1812-1882), deutscher Schriftsteller

[Ivo, der Hajrle]

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Sträflinge

"»Guck,« sagte er dann, »es ist jetzt kein' Red' mehr davon, daß wir voneinander lassen; aber tief thut mir's weh, daß wir so allein stehen, gar keine Familie haben. Ich hab' mir früher als dacht, wenn ich einmal heirat', da möcht' ich in eine große Familie hinein. So ein alter Schwiegervater und eine dicke Schwiegermutter, und recht viel Schwäger und Schwägerinnen, und Vaters Brüder und Schwestern, und so alles, das muß prächtig sein. Und wenn's auch arme Leut' sind, die einem nicht aufhelfen können, und einem auf dem Hals liegen, man hat doch recht viel' Menschen, die einem angehören und einem doch beistehen können in allen Sachen. So ohne Familie ist man wie ein Baum auf einem Berg, der steht allein und verlassen; wenn ein Wind kommt, packt er ihn von allen Seiten und läßt ihm lang keine Ruh. In einer Familie aber ist man wie in einem Wald; kommt auch ein Sturm, so hält man's miteinander aus, und man hält zusammen. Was meinst du dazu? Hab' ich recht?«

»Freilich,« seufzte Magdalene, »aber alle Menschen sind ja verwandt miteinander, wenn man's auch nicht so heißt, und . . . und . . . ich weiß nicht, wie ich's sagen soll: die rechte Lieb' ist doch, die man zu Leut' hat, die nicht verwandt heißen; das ist viel mehr. Und glaub' mir, ich hab' mein Lebtag die Gutthaten der Menschen genossen; es gibt viele, die mich alle gern haben, mehr als Verwandte; denk nur an den Schullehrer und an den Doktor Heister und an alle, die so sind, und das ist unser' Familie, und die ist groß.«"

Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten - Zweiter Band, Sträflinge, Kapitel 10: Eine erste Liebe und eine zweite, zweitletzter und letzter Absatz

 

"- Ihr könnt es kaum ermessen, was sich in der Seele eines Mädchens aufthut, dem seit dem ersten Gedanken zugerufen ward: dein Schicksal ist in deine Hand gegeben, du gehörst und hast niemand, du bist allein; alle Liebe und allen Lebensunterhalt mußt du erobern, du kannst jede Minute ausgestoßen werden und bist fremd; kein unauflösliches Familienband umschlingt dich über alle Irrungen und Wechsel des Lebens hinweg.

So ohne Anhang und ohne Abhängigkeit zu leben, ist wohl auch eine Freiheit, aber dem jugendlichen Herzen, zumal dem eines Mädchens, thut es wohl, zu gehorchen, einem fremden Willen die Verantwortlichkeit für die Lebenswendungen anheimzustellen. Darum hatte Magdalene sich von ihrem Vater ausbeuten lassen, darum gehorchte sie dann so freudig der Fürsorge Heisters und wollte sie Jakob dienen, seine Schwermut und seine Launen ertragen als eine demütige Magd; hatte sie doch einen lieben Menschen, der ihr und dem sie angehörte.

(...)

Heister fuhr fort:

»Laßt euch doch von ein paar feingedrehten Redensarten nicht am Narrenseil herumführen. Der Mann hat seinen hochroten Orden aus dem Knopfloch und die hochroten Redensarten aus dem Munde gethan und thut ganz schlicht gegen euch. Ihr habt's ja selber gesagt: er spricht von Staatsmacht und meint Beamtenmacht. Wir wollen auch, daß der Staat stark sei; aber er soll's nur dadurch sein, daß er die Aufsicht über die Macht führt, die in Händen der Bürger liegt.«"

Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten - Zweiter Band, Sträflinge, Kapitel 12: Der rechte Mann, fünfter und sechster Absatz und weiterer