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(09.06.07) Über das Rechtsverständnis Mir ist etwas ganz Interessantes im Rechtsverständnis einer PYers aufgefallen. Wenn jemand beschuldigt ist, dann ist es sein legitimes Recht und seine Pflicht vor sich selber, sich zu verteidigen. Und: Die Verteidigung sollte möglichst gut sein. Soweit nichts Auffälliges. Der PYer optimiert jedoch in eine möglichst phantasievolle und schlüssige Geschichte, oft ein Märchen, um seine 100%ige Unschuld darzulegen. Daran findet er auch nichts Verwerfliches, denn er wäre ja schön dumm, wenn er die Wahrheit sagen würde und nicht alle Register, wie es zumindest hätte sein können, ziehen würde. Ich denke sogar, der PYer ist der Meinung, das würde von ihm erwartet. Die Gegenseite findet da auch nichts dabei, eine Lüge nach der anderen zu beweisen. Damit ist der Beschuldigte nicht etwa unglaubwürdig, sondern jeder weiß: Hier wird nur ein legitimes Spiel gespielt, die Aufgabe des Beschuldigten ist es, sich in die Unschuldsposition hineinzudenken, die Aufgabe der Gegenseite ist es, den Gegenbeweis anzutreten. So sie kann.
(23.01.08) Diese Haltung resultiert auch in einer besonderen Art des täglichen Umganges miteinander. In unserem deutschen Kulturkreis ist es eher so, dass man grundsätzlich davon ausgeht, dass sein Gegenüber die Wahrheit sagt. Falls man das anzweifelt, würde man sein Gegenüber zutiefst beleididigen. Ja, das geht sogar so weit, dass man sich beispielsweise oft nicht traut, Geldbeträge nachzuzählen, weil man ja sonst seinen Zweifel an der Ehrlichkeit zeigen würde. Ganz anders im paraguayischen Kulturkreis. Hier wird grundsätzlich erstmal davon ausgegangen, dass der Kommunikationspartner die Unwahrheit sagt bzw. etwas Schlechtes im Schilde führt. Natürlich ist das längst nicht immer der Fall, deshalb sind die Ehrlichen auch um ihre fortwährende Reputation bemüht. Aber es gehört schon zum Kommunikationsspiel dazu, dem anderen zu zeigen, dass man ihm misstraut. Falls dann jemand empört reagiert und sich beleidigt zurück zieht (“Wie kannst du mir nur misstrauen?”) hat er schon verloren und damit (=Rückzug, ohne das Gesicht zu verlieren) evtl. sogar schon seine Schuld bewiesen. Die Notbremse “Hälst du mich etwa für einen Lügner?” wird nur im Extremfall gezogen, wenn mit dem Misstrauen übertrieben wird und damit der Unschuldsnachweis dem mit der Beweislast besonders lästig fällt.
(14.07.08) Illegalitätsneurose Wenn es zwei Wege gibt um ein Ziel zu erreichen, einen illegalen und einen legalen, entscheidet sich der Durchschnittsparaguayer für gewöhnlich intuitiv für den illegalen. Das hat eine lange Tradition, denn man bekommt in Paraguay hinter vorgehaltener Hand mit, dass legal gar nichts, aber illegal alles geht. Der legale Weg hat etwas Anrüchiges an sich. Wer kennt nicht Schlemihl aus der Sesamstrasse mit seinem "Pssst!" und seinem vorsichtigen Umschauen? Daran muss ich immer denken. Wenn also unvorsichtigerweise ein legaler Weg eingeschlagen und das Ziel so erreicht wurde, ist der Paraguayer so überrascht, dass er das schon bereitgehaltene Schmiergeld ("Koima") dem ebenfalls völlig überraschten Beamten in die Hand drückt. Damit ja auch alles seine Ordnung hat. Selbst erlebt. In Wirklichkeit lassen sich auf dem legalen Weg im Allgemeinen die Ziele genauso schnell, komfortabel und zuverlässig wie auf dem illegalen erreichen. Ob dieses Verhalten aber gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstößt, weiß ich nicht.
(14.07.09) Deutsches Sozialverhalten “Das Pinkeln in Schwimmbecken gehört zu jenen Ferkeleien, die man sich erlauben kann, ohne jemals erwischt zu werden. Raubst du eine Bank aus, wirst du wahrscheinlich geschnappt, stiehlst du ein Auto, wirst du vermutlich gefasst; versteckst du einen Elefanten in deinem Zimmer, bleibt das wohl auch nicht lange verborgen. Pinkelst du aber in ein Becken, kriegt das niemand mit — und damit kommen wir zum tieferen Sinn der Worte »Pinkel nicht ins Schwimmbecken!«. Sie meinen nämlich: Tu auch dann nichts Schlechtes, wenn dir niemand auf die Schliche kommen würde. Das Leben wird dir viele Gelegenheiten bieten, in irgendein Becken zu pinkeln. Du wirst oft genug in die Lage geraten, etwas Unanständiges zu tun, ohne dabei erwischt zu werden. Womöglich kommt es nie heraus, wenn du dein Kaugummi unter einen Stuhl klebst, eine Katze am Schwanz ziehst, deinen Namen irgendwo hinkritzelst oder beim Spielen ein wenig schummelst. Aber all das tut man halt nicht — ganz unabhängig davon, ob man dabei erwischt werden könnte. Wird man bei etwas Unanständigem ertappt, kann man zwar daraus lernen, es in Zukunft besser zu machen; viel klüger ist jedoch, man lässt es gar nicht erst darauf ankommen. Lass es besser gleich bleiben — allerdings nicht aus Panik, dabei erwischt zu werden, sondern weil es einfach nicht in Ordnung ist. Genauso sollte man gute Taten nur deshalb tun, weil sie richtig sind und nicht, weil man auf die Belohnung schielt. Da es nun mal keine Pipi-Polizei gibt, die einschreitet, wenn jemand ins Schwimmbecken pinkelt, müssen wir uns das halt freiwillig verkneifen. Dasselbe gilt auch für all die anderen kleinen Gemeinheiten, die wir uns nur deshalb herausnehmen, weil wir dabei ungestraft davonkommen. (...) Du siehst, es liegt auch an dir selbst, ob die Welt ein klein wenig schöner wird (...).”
Marc Gellmann, Trag immer ‘ne saubere Unterhose, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2003, S.20ff.
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