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Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß sogar Ivo mit einem gewissen Stolze Hand in Hand mit den Knaben durch das Dorf ging. Er freute sich, daß alle Leute zu den Fenstern heraussahen. und er sagte allen mit großer Selbstzufriedenheit: »Guten Tag.«
Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten, Erster Band, Ivo, der Hajrle, Kapitel 6: Die lateinische Schule, neuntletzter Absatz
Ivo und Klemens gingen auf Spaziergängen oft Hand in Hand und erzählten einander viel von der Heimat.
Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten, Erster Band, Ivo, der Hajrle, Kapitel 8: Die Vakanz, zweiter Absatz
Im Dorfe traf er den Konstantin, der, den einäugigen Peter an der Hand führend, mit den halbgewachsenen Burschen singend durch die Straße zog.
Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten, Erster Band, Ivo, der Hajrle, Kapitel 8: Die Vakanz, siebtletzter Absatz
Ivo und Klemens hatten sich herzlich bewillkommt, die andern Kameraden waren dabei, ein jeder hatte viel zu erzählen. Mittags auf dem Spaziergange blieben Ivo und Klemens wie auf eine geheime Verabredung zurück, und hinter einer blühenden Schlehdornhecke, wo es niemand sah, fielen sie, ohne ein Wort zu reden, sich um den Hals und küßten und herzten sich inniglich. Die Lerchen jubelten hoch in den Lüften, und die Schlehblüten regten sich von einem sanften Winde. Freudeverklärten Antlitzes, ein jeder seinen Arm um den Nacken des andern geschlungen, so kehrten sie wieder auf die Straße zu den vorausgegangenen Kameraden zurück. Ivo sagte nur, aus einer langen innerlichen Rede heraus, laut die Worte: »still und heilig!« und schaute dabei in das hellleuchtende Auge seines Klemens, sie reichten sich schweigend die Rechte und hielten sie fest, dann schlug Klemens den Ivo und sprang von ihm fort zu den andern. Ivo verstand wohl, daß sie ihren geheimen Liebesbund ja recht sicher vor den andern verbergen sollten. Sie gingen dann mit den andern, aber bald faßten sie sich wieder und schlugen sich neckend, nun suchte der eine dem andern zu entrinnen, dieser ihn wieder einzuholen, so waren sie abermals eine Weile allein, und in scheinbarem Ringen drückten sie einander innig ans Herz und »lieber Ivo«, »lieber Klemens« hieß es immer.
So erfinderisch war schon diese junge, plötzlich wie eine Knospe aufgebrochene Freundschaft.
In den Herzen der beiden Knaben war von nun an ein neues, wonneseliges Leben. Ivo hatte noch nie einen »Herzbruder« aus seinem Alter gehabt, Klemens hatte sich bei den vielen Wanderungen seiner Familie nur an seine ältere Schwester angeschlossen.
Jetzt, wenn Ivo erwachte, schaute er freudig um sich und sagte: »Guten Morgen, Klemens,« obgleich dieser in einem andern Zimmer lag. Er war in der Fremde nicht mehr fremd, das Kloster war kein Ort des Zwanges und des unerbittlichen Gesetzes mehr, er that alles willig, denn sein Klemens war ja bei ihm. Nun brauchte er sich nicht mehr vorzunehmen, fröhliche Briefe nach Hause zu schreiben, sein ganzes Leben war nur noch ein hochgestimmter Freudenklang, und die Mutter Christine schüttelte oft den Kopf, wenn sie seine hohen Redensarten las.
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Der geheime Bund konnte indes den andern Mitschülern nicht lange verborgen bleiben; denn wie Liebende sich oft lange für unbemerkt halten, während sie sich die offenkundigsten Zeichen der Zuneigung gehen, so erging es auch unsern Freunden.
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»Gib mir deine Hand darauf, daß du von dem Bartel ganz lassen willst, wo nicht, so stürz' ich mich da grad hinab.« Ivo stand schaudernd und faßte die Hand seines Freundes. »Kein Wort! Ja oder Nein!« knirschte Klemens. »Nun ja, ja! Der arme Kerl dauert mich, aber du bist ganz verwildert in den acht Tagen.« Klemens umarmte und küßte Ivo, dann stieg er schweigend die Treppe hinab und verschwand in seinem Zimmer.
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Die Innigkeit der beiden Freunde nahm fast mit jedem Tage zu, und so verschieden auch ihre Charaktere waren, sie fanden sich doch einig in der Liebe.
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,,,man konnte sie wohl zu den Hübscheren im Dorfe zählen; aber Ivo widmete ihr längst keine Aufmerksamkeit mehr, die Liebe zu seinem Klemens hatte sein ganzes Herz erfüllt.
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So kam endlich der Herbst. Am Abend vor dem Abschiede gingen Ivo und Klemens nach der Freundschaftshecke, ein jeder brach sich einen Zweig und steckte ihn auf die Mütze, dann reichten sie sich die Hände und schwuren sich nochmals ewige Freundschaft. Ivo versprach noch, seinen Klemens während der Vakanz in Crailsheim zu besuchen.
Das Verlassen eines Ortes, so wenig glücklich man auch in demselben gelebt hat, erregt doch stets eine Wehmut; das Vergangene wird zu einer abgeworfenen Hülle, man kehrt nie mehr als derselbe zu ihr zurück: diese Häuser, diese Gärten und Straßen sind die Geburtsstätten eines ganzen Schicksals. Hier hatten sich die Freunde gefunden, hier hatte sich ihr Geist zu ungeahnter Höhe entfaltet, und mit tiefem Schmerze trennten sich die Freunde von dem Kloster und der Stadt. Sie gelobten, einst, in altersgrauen Tagen, wieder miteinander dahin zu wallfahrten, um die stillen Spielplätze ihrer jugendlichen Gedanken als Männer aufzusuchen.
Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten, Erster Band, Ivo, der Hajrle, Kapitel 9: Die Freunde, vierter bis siebter Absatz und weitere
Höchst eigentümlich war das Verhältnis Konstantins zu Peter: liebender wacht ein Mutterauge nicht über das Wohl ihres kranken Kindes, nachgiebiger ist ein sanftes Weib nicht gegen ihren verstörten Gatten, als Konstantin gegen Peter war; ja, er unterdrückte sogar die Neigung zu des Jörgs Magdalene, weil er merkte, daß Peter sich um ihre Liebe bewarb, er verhalf ihm hierzu, so viel er konnte. Wenn Konstantin ganz wild war, so daß kein Mensch mit ihm auskommen konnte und er alles kurz und klein schlagen wollte, durfte Peter nur sagen: »thu's mir zulieb, Konstantin, und gib Frieden,« und er war zahm und folgsam wie ein Lamm.
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Klemens war als junger, lebenskecker Student in nähere Beziehung zu der Tochter seines Amtmanns gekommen, sein ganzes Wesen loderte nun in einer Flamme für sie. (...) Ivo bot die ganze Macht seiner Liebe auf, um seinen Freund zu retten; aber bald erkannte er, daß hier eine höhere Macht walte, und er trauerte mit seinem armen Freunde, obgleich er seinen wilden Ungestüm nicht recht fassen konnte.
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Das Krankenlager des Klemens war ein tief schmerzliches. Meist düsterte er so hin mit offenen Augen, aber, wie es schien, ohne etwas zu sehen. Ivo mußte die Hand auf seine brennend heiße Stirne legen, und dann sagte er manchmal, die Augen schließend: »Ah!« Es war wie wenn bei der Berührung der geweihten Freundeshand böse Martergeister aus der engen Behausung des Gehirnes auszögen. Hin und wieder brauste auch Klemens in gewaltigem Ingrimm auf und verfluchte die ganze Welt und ihre Lieblosigkeit; wenn ihn dann Ivo zu begütigen suchte, kehrte sich der Zorn des Gereizten gerade gegen ihn, mit krampfhaft zitternden Händen um sich schlagend, rief er: »O du herzloser Wicht, gelt, mich kannst du quälen?«
Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten, Erster Band, Ivo, der Hajrle, Kapitel 11: Das Konvikt.
»Wirf dich mit mir in den Staub, Elender! Wahrlich, die schwerste Züchtigung, die für deine Gottlosigkeit dir werden konnte, hat der Herr durch meine Hand an dir vollführt; ich wollte es nicht, aber der Herr hat meinen Arm gegen dich geschleudert. Du bist mein Herzbruder, und durch mich mußtest du gezüchtigt werden, daß du es fühlest, wie zweischneidige Schwerter durch dein Gebein fahren. – Wirst du mich von dir stoßen, so ist das die härteste Strafe, die der Herr über dich verhängte; er will dir deinen besten Freund nehmen. Thue, wie dir dein Geist befiehlt, verstoße mich, dann bist du zwiefach elend. In tiefe Nacht muß dich der Herr tauchen, damit du zum Licht kommst, mit Wermut muß er dich tränken, mit Galle dich sättigen, bis der Lügengeist aus dir ausfahre und der Sündenschlamm von dir abfällt. Herr! laß dir dies Opfer wohlgefallen, ich opfere dir ein Stück meines Herzens, meinen Freund. Du bist mein Freund, o Herr! Vergib mir, daß meine Seele noch an ihm hing, der da ist ein Fraß der Würmer. Begnadige mich, o Herr! reiche mir den vollen Becher des Schmerzes, führ mich den Dornenweg, zu dir, zu dir!«
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Still und gedankenvoll ging Ivo lange Tage umher: die volltönendste Saite seiner Seele war in schrillem Mißklange zerrissen, er hatte eine schöne Liebe begraben, seine Trauer war tief und namenlos. – Jetzt auch, da er ein Extrem der Glaubensschwärmerei vor sich gesehen hatte, regten sich viele halbschlummernde Zweifel und Bedenken lebhafter, er war »zwiefach elend«, wie Klemens verheißen, aber er konnte sich nicht retten.
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Sonderbar! gerade über die Jungfrau Maria wagte Ivo die meisten Bedenken. Er fragte zuerst, ob sie »eine Heilige, auch allgegenwärtig sei«, da man doch überall zu ihr bete. Der Professor sah ihn etwas betroffen an, dann sagte er: »Der Begriff der Gegenwart ist ein bloß menschlicher, den körperlichen Dingen entnommen, eigentlich nur für sie geltend; indem wir das Wörtchen ›all‹ zu ›gegenwärtig‹ hinzusetzen, wollen wir nun die Gesamtheit des Daseins zusammenfassen, wir glauben nun dadurch einen neuen Begriff zu gewinnen, in der That aber haben wir keinen. Wie wir überhaupt nichts Ueberirdisches als solches in Begriffe fassen können, ist also das Dasein eines Geistes durch den Begriff der Gegenwart gar nicht meßbar. Wir fassen überhaupt alles Ueberirdische nicht durch den Begriff, sondern durch den Glauben.«
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»Ich will dir einen bewährten Rat geben,« sagte der Professor, die Hand auf die Schulter Ivos legend: »so oft ein Gedanke in dir aufsteigt, der dich vom Glauben entfernt, such ihn augenblicklich zu bannen durch Gebet und Studium, laß ihn nie länger in dir walten. Es geht uns mit unserm Gotte, wie mit einem Freunde; haben wir uns länger innerlich von ihm entfernt, so finden wir leicht den rechten Weg zu seinem Herzen nicht mehr.«
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Oft auch, wenn die Mutter schlief und das eine kam, um das andre abzulösen, redeten sie noch lange miteinander. Ivo offenbarte der Emmerenz den tiefsten Wunsch seiner Seele nach einer anstrengenden Arbeit, und sie sagte: »Ja, ich kann mir's denken, ich könnt' nicht leben, wenn ich nicht recht tüchtig zu schaffen hätt'; ich will mich nichts berühmen, aber im Schaffen nehm' ich's mit einer jeden im Dorf auf.«
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»Und recht lieb,« sagte Ivo. Er wollte ihre Hand fassen, hielt aber schnell wieder an sich; dessen aber konnte er sich nicht erwehren, daß er das kernhafte Wesen des Mädchens immer mehr liebte. – –
Berthold Auerbach, Schwarzwälder Dorfgeschichten, Erster Band, Ivo, der Hajrle, Kapitel 13: Der Zwiespalt, dreizehnter Absatz und weitere.
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